#Prosa

Friedhöfe

Barbara Bronnen

// Rezension von Roman Jobstmann

Warum ich für mein Leben gern auf Friedhöfe gehe.
Kleine Philosophie der Passionen.

Barbara Bronnen ist jemand, der „für sein Leben gern auf Friedhöfe geht“. Dieses zweideutige, im Untertitel verankerte Wortspiel hellt bereits ihre Vorliebe auf für noch zu bestellende „Leichenäcker“ im Lichte einer schon zu Lebzeiten praktizierten Einübung in den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit.

Ganz im Sinne des sogenannten „Begräbnismimen“, der im alten Rom beauftragt war, dem Trauerzug bei Begräbnisfeierlichkeiten vorzustehen und die wichtigsten Szenen aus dem Leben des Verstorbenen darzustellen, berichtet und reflektiert Bronnen über Schicksale von Dichtern, Widerstandskämpfern, ermordeten Juden, unbekannten Soldaten oder schlicht von anonymen Toten.

„Der Friedhof als Bühne des Lebens“ (S. 10) rührt dabei an der Vorstellung, Theater hätten alleine im Schatten von Begräbnisstätten ihre dramaturgische Berechtigung. Und tatsächlich erinnern die Überlebenden (= Schauspieler) durch ihr bloßes Dasein beim Friedhofsspaziergang (= Aufführung) an das Vergangene und Begangene (= Gräber). Dieser Gedankengang führt trotz der redlichen Bemühungen Bronnens, die dargestellten, teils erfundenen und teils einfach nur angedeuteten Lebensgeschichten möglichst in ihrer Allgemeinheit nicht zu vergessen, zu der Vermutung, daß sie immer wieder nur sich selbst besucht, wenn sie zu den Toten geht.

In Begleitung der (verstorbenen) Großmutter kommt der Autorin der Lebensnutzen besonders eindringlich zu Bewußtsein: Das Dasein ist kein Eigentumsverhältnis, sondern einzig von provisorischer Nutzung; und trotzdem fällt es uns schwer, „die Bedingungen zu akzeptieren, unter denen wir auf die Welt gekommen sind […]“ (S. 119).
Jene erklären sich erst aus dem Tod, während letzterer wie kein anderes Ereignis im Leben radikal an den Beginn von allem zurückverweist. Dieses altbewährte Spannungsverhältnis gibt Bronnens Buch von der ersten Seite an den (hohen) Ton vor, auf den ihre Prosa ein wenig wehmütig gestimmt ist.
Dazwischen reduziert sich der Erlebnisgehalt der vorgeführten, zum Teil aus wenigen Daten entwickelten Biografien auf ein Zwiegespräch mit den Toten, das augenscheinlich den antiken Topos von der Rede mit den Verstorbenen bemüht. Gleichzeitig bedingt diese Erzähltechnik eine Reflexion auf das Medium selbst: „Zum Glück gibt es die Literatur, die das Leben bewahrt“ (S. 85). Bronnen (und mithin auch der Leser) hat also gelernt, „[…] daß es eine Übersetzungsmöglichkeit gibt. [Sie reduziert] nicht mehr das, was [sie sieht], auf Anonymität“ (S. 91), sondern erhöht das eigene Leben auf das eines anderen, oder auch auf das, was niemand erlebt hat.

Stille Schau-Plätze dabei sind berühmte Friedhöfe wie der Pariser Père Lachaise, der Venezianische San Michele oder der Alte Nördliche in München. Der Dorotheenstädtische in Berlin, wo Bronnens Vater, der Schriftsteller Arnolt Bronnen, begraben liegt, hat schließlich durch die gefühlvolle, aber zu späte Auseinandersetzung mit der Herkunft der Autorin letztgültigen Verweischarakter.

Barbara Bronnen Friedhöfe
Prosa.
München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1997.
140 S.; brosch.
ISBN 3-423-20096-0.

Rezension vom 27.11.1997

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.