Als ihre Töchter Jahre später zum Studium ins Ausland gehen, unternimmt sie eine Reise nach Naxos, wo ihr das „Empty-Nest-Syndrom“, eine Midlife-Crisis und die „recurrent brief depression“ stark zusetzen. Sie hängt in Schwermut und Energielosigkeit fest und kommt sieben Tage nicht aus dem Bett.
Während dieser Zeit scheint eine spezielle Transformation stattzufinden. Eos fällt aus Raum und Zeit und „verdoppelt“ sich zu einem „Traum-Ich“.
Zurück in Wien geht sie zur Gesprächstherapie, stellt ihre künstlerische Tätigkeit ein und beginnt im Management einer international renommierten Galerie zu arbeiten, die auch den „Wiener Szenestar“ Rudolf, genannt „Chucho“ vertritt.
Eos findet heraus, dass dieser von weniger bekannten Kolleginnen und Kollegen systematisch abkupfert, was sie ihm in einem „Wutbrief“ zum Vorwurf macht.
Als Rudolf, der vor seiner Karriere als Künstler Immobilienmakler gewesen ist, aus seiner Suite im „Stipendienstädtchen“ plötzlich verschwindet, obwohl er noch Monate dort hätte wohnen können, gerät Eos unter Verdacht, vor allem auch deshalb, weil sie eine Affäre mit ihm gehabt hat. Es kommt zu einem Prozess, der allerdings ohne konkrete Ergebnisse bleibt.
Später erfährt sie, dass für Rudolfs Verschwinden sein Freund Poll verantwortlich ist, der ihn nicht nur entdeckt und „zur Koryphäe geformt“ hat, er verfügt auch über spezielle Fähigkeiten: Er kann ein anderes Aussehen annehmen sowie Geld, Dokumente, Unterschriften oder Fingerabdrücke fälschen. Dementsprechend leicht fällt es ihm daher, alle Welt auf falsche Fährten zu führen, als Rudolf damit spekuliert, vielleicht doch lieber wieder in der Werbebranche tätig zu sein bzw. Immobilien oder Reiseversicherungen zu verkaufen.
Nicht unwesentlichen Einfluss darauf nimmt Eos, verlangt sie doch von ihm, sich öffentlich zu den Plagiatsvorwürfen zu bekennen, was er ablehnt. Dafür hat sie mehrmals „ein und denselben (…) verblüffend intensiven Traum“, in dem sie im Zuge eines eskalierenden Streits Rudolf gegenüber handgreiflich wird und als ihr „Alter Ego“ sein Atelier verwüstet, Mappen kaputttrampelt, Skizzen zerreißt, Material zerfetzt, Bilder mit Messerstichen traktiert, Skulpturen zersägt, Assemblagen mit Bohrschraubern und Fräsen zerstört. Sie erleidet in der Folge einen Totalzusammenbruch, bleibt in einer Mauernische liegen und wird von Rudolfs Freund Poll vor dem Erfrierungstod gerettet.
Nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus entdeckt sie in der Bibliothek des „Stipendienstädchens“ eigene Einfälle und Formulierungen in diversen Büchern. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Texte, die auf der Festplatte ihres seinerzeit auf Naxos gestohlenen Computers gespeichert waren oder aus ihren Notizbüchern stammen, die neben mehreren Fotostapeln damals ebenso entwendet wurden.
Auf Naxos lernt ihr „Alter-Ego“ auch das Musikerpaar Ria und Ionis kennen; und sie trifft dort die vier Jahre jüngere Zoologin Valentina wieder, die an einem „Schildkrötenprojekt“ arbeitet. Mit ihr, die von einem Berliner Ehepaar adoptiert worden ist, nachdem ihre Eltern den Schergen der Militärjunta in Argentinien zum Opfer gefallen sind, lebt sie dann an verschiedenen Orten, ehe die beiden in der argentinischen Provinz Chubut sesshaft werden.
Eos spürt, dass sie hier ein ihr entsprechendes Leben führen kann. Sie jobbt als Reiseführerin, hilft in einer Sprachschule aus und weiß, dass auf all ihren seinerzeit in der Ägäis verschwundenen Sachen das „Grapefruits-Logo“ prangt, hinter dem ein von Ria, Ionys und Poll angeführtes Künstlerkollektiv steckt, dem es vor allem darum geht, den Blick „von der Fixierung aufs Narrativ der Meisterschaft des genialen Subjekts“ fortzulenken, ja den Flow über das Ich hinausschwappen und den Ideen- oder Gedankenstrom so von den unterschiedlichsten Köpfen befruchten zu lassen.
In diesem Sinne folgt dieses imposante Buch, das sich aus inneren Monologen gleichenden „Traumskizzen“ und Metamorphosen speist, genauso wie es sich als „provisorisches Romanfragment“ oder „schlichter Reisereport“ zu gerieren versucht und in Summe „eine Groteske“ ist, keiner linearen Erzählung.
Seine treibende Kraft ist die „Mythomanie“. Gedachtes, Gefragtes, Gesagtes und Erlebtes wird vielschichtig archiviert, „das Leben mit den jeweiligen Wendungen, Mottos, Floskeln, Redensarten in einen komplexen systematisierenden Zusammenhang“ gebracht.
An konventionellen Regeln will sich der Text weniger messen. Er gleicht mehr einem Erzählmosaik, bestehend aus Wahrnehmungen und Vorstellungen, Erlebnissen und Erfahrungen, Erinnerungen an Personen und Augenblicke. Es blitzen Alltag und Alpträume auf. Genauso geht es um „die Magie realer Momente“ und darum, wie sich ein Satz in den nächsten fügt, „wie sich Wörter mit Gesten paaren oder gegen sie in Szene setzen“. Es eröffnen sich ständig Zeitfenster, die die Wirklichkeit „über die Köpfe der einzelnen hinaus“ in eine Art „Zwischen“ entführen.
In deren Mittelpunkt steht eine sich ständig verändernde Welt „voll von Mythos, voll von Kunst“, weshalb jede und jeder unter bestimmten Bedingungen eine Künstlerin, ein Künstler sein kann, – so das Credo des Buches, das auch die Frage aufwirft, ob es angesichts der herrschenden „Schönheitsstandards“ und Vorstellungen von Erfolg nicht überhaupt besser wäre, zu versumpfen und sich dem permanenten Etwas-aus-sich-machen-Müssen zu verweigern.
Dieser These widmet Isabella Breier einigen Raum, ist doch Leben für sie mehr als nur dazu da, kompakt erzählt oder stimmig erklärt zu werden. Das zu veranschaulichen gelingt ihr in souveräner Manier.