Der Eisvogel ist nämlich bereits mehr oder weniger von der heimischen Bildfläche verschwunden. Alois Brandstetter erinnert sich jedenfalls, den blaugefiederten Zeitgenossen in seiner Kindheit, aber dann lange nicht mehr gesehen zu haben. Und jetzt ist er wieder zurückgekehrt, der scheue, seltene, bereits nahezu ausgestorben geglaubte Vogel. Und für seinen Wieder-Auftritt, sein Wieder-Auftauchen hat er sich die Heimat des Autors ausgesucht. Der Eisvogel wurde gesichtet in Pichl bei Wels. Anno 1998.
Ein Jahr vor dem 60. Geburtstag des Autors, den die Gemeinde Pichl bei Wels zum Anlass genommen hat, um ihm die Würde eines Ehrenbürgers zu verleihen. Ausgehend von dieser Ehrung und der zuvor – nach der Gründung eines örtlichen Verschönerungsvereines – erfolgten Rückkehr des Eisvogels macht sich Brandstetter Gedanken über Pichl und die Welt. Er kommt dabei in lockerem Plauderton vom Hundertsten ins Tausendste, kombiniert Sprachspiele mit Versatzstücken humanistischer Bildung und geht den Wörtern auf den etymologischen Grund.
Brandstetter wird hier seinem Ruf durchwegs gerecht. Er präsentiert sich als konservativer Autor der „alten Schule“, als Ästhet, der sich zuweilen auf verlorenem Posten fühlt, aber seine Umgebung doch mit kritischem Wohlwollen betrachtet – und kommentiert. Er konstatiert an sich selbst die Toleranz des Ältergewordenen, nicht ohne seine teils selbst eingenommene, teils ihm zugeschriebene Position noch einmal zu überdenken.
Die Zärtlichkeit des Eisenkeils ist ein eigenartiges Mit- und Nebeneinander von oft anekdotenhaft geschilderten Begebenheiten, geistreichen Analysen und Bemerkungen sowie Reflexionen ebenso über das eigene Leben wie über seine Umgebung. Die Rolle des Autors ist dabei eine schillernde. Er scheint sich stets zu verwandeln, tritt abwechselnd als väterlicher Freund, Großvater, alternder Schriftsteller usw. auf. Manchmal auch als Lehrer, der sich verzweifelt bemüht, nicht allzu belehrend zu wirken, den bereits erhobenen Zeigefinger schnell wieder versteckt.
Und angekommen in der Phase einer literarischen Karriere, in der öffentliche Geburtstagsfeierlichkeiten und Ehrungen beginnen, denkt er über seine Stellung in der österreichischen Literatur nach, rekapituliert Begegnungen mit andernen Autoren, Gemeinsamkeiten und Unterschiede, von der Kritik angestellte Vergleiche. Thomas Bernhard und Peter Handke etwa werden hier genannt. Es wird sehr klar, wem Brandstetters Sympathien gelten, und doch ist er derjenige, der von Vergleichen lieber absieht. Um darauf über die (ihm in seinen Augen vielleicht zu Unrecht zugeschriebene) Bescheidenheit zu sinnieren.
Der Text trägt die Bezeichnung „Roman“ – und moderne Leser sind längst daran gewöhnt, dass dies ein sozusagen dehnbarer Begriff sein kann, aber bei der „Zärtlichkeit des Eisenkeils“ kann man sich doch des Eindrucks nicht erwehren, dass dieser Roman recht wenig Romanhaftes an sich hat. Es scheint sich hier vielmehr um eine Abhandlung, einen umfangreichen Essay zu handeln. Warum also Roman? Wir sind gewöhnt, dass bei Brandstetter kaum ein Detail dem Zufall überlassen bleibt, und verleitet zu glauben, dass hier den durchaus realen Szenen und Überlegungen eine fiktionale Komponente injiziert wird, einerseits.
Zu Beginn wird die mangelnde Verläßlichkeit des Erinnerungsvermögens angesprochen, sowie der Hang zu Vereinfachung und Übertreibung, um das Dargestellte klarer posistionieren zu können … Übrig bleiben das ideologische Skelett und einige Szenenentwürfe, andererseits. Zusätzliche „Handlung“ scheint als verzichtber erkannt und systematisch abgezogen worden zu sein.
Etwas hat Brandstetter ja doch mit Thomas Bernhard gemeinsam. Sie gelten beide als Geschichtenzerstörer. Wobei doch gerade in diesem Roman eher der Geist von Claudio Magris spürbar ist – im Sinne literarischer Essays oder essayistischer Literatur, deren Grundlagen auf mitteleuropäischer Geistesgeschichte beruhen.