Nun, zehn Jahre nach dem Tod Thomas Bernhards, erzählt Brändle von einem Lebensabschnitt, der sowohl für Bernhard als auch für Brändle prägend war. Bernhard hat diese für ihn quälenden Jahre in der Anstalt Grafenhof in „Die Ursache. Eine Andeutung“, „Der Keller. Eine Entziehung“, „Der Atem. Eine Entscheidung“, „Die Kälte. Eine Isolation“ sowie in „Ein Kind“ literarisch verarbeitet. Brändle liefert mit seinem biografischen Werk nicht nur eine Annäherung an den berühmten Schriftsteller, sondern auch eine überaus aufschlußreiche Beschreibung der Heilanstalt. Grafenhof, so erfahren wir, war zu dieser Zeit eine Volksheilstätte für Minderbemittelte und hatte den denkbar schlechtesten Ruf. Tbc galt als „typische Armeleutekrankheit, deren man sich zu schämen hatte“ (S. 48). Der Krankheit haftete eine Aura von Schuldhaftigkeit an, was auch soziale Ausgrenzung zu Folge haben konnte. Lange Zeit lebte Brändle daher mit der Angst, Bernhard-Leser könnten ihn in der „Kälte“ als reales Vorbild erkennen.
In Brändles biografischen Erinnerungen wird für Bernhard-Forscher deutlich, wo Dichtung und Wahrheit auseinandergehen. Wo hat Bernhard was stilisiert? Zwar legt Brändle den Schwerpunkt auf jene Zeit in Grafenhof, war sie doch die freundschaftlich intensivste, dennoch liefert er ein umfassendes Bernhard-Porträt. Bernhards Lebensmensch, Hede Stavianicek, tritt auf, auch die Lampersbergers kommen vor.
Brändles Buch überzeugt durch seine unprätentiöse Haltung, seinen angenehmen, etwas altmodischen Erzählertonfall und nicht zuletzt dadurch, daß Brändle gut abwiegt, was er wie bringt. Kein Klatsch, kein Tratsch, keine Eitelkeiten à la Dolecal & Rossacher. Statt dessen die genaue Bestandsaufnahme einer lebenslangen Verbindung und der vorsichtige Versuch einer Interpretation des Vergangenen. Auch für Nicht-Bernhard-Forscher eine anregende Lektüre.