#Theater

Weltkomödie Österreich

Hermann Beil

// Rezension von Helmuth Schönauer

13 Jahre Burgtheater. 1986-1999.

Manche Bücher reizen das eigene Medium dermaßen aus, daß sie die übliche Handhabbarkeit verlieren und wie Sondertransporte behandelt werden müssen. Diese Konvolute werden in Büchereien bewundernd „Ziegel“ genannt, lassen sie sich doch bequem als Baustein für alles und jedes deuten. Neben Peter Weibels Sammelband über die „Wiener Gruppe“ und Rem Koolhaas‘ „S, M, L, XL“, der Bibel der Architekten-Stadtplaner des ausgehenden 20. Jahrhunderts, erweckt der vom Mitverfasser Claus Peymann anläßlich der Beendigung seiner Burgherrschaft hervorgebrachte „Peymann-Ziegel“ allerhöchste Bewunderung.

Beide Bände, in Plastikfolie zu einem Transportungeheuer verschweißt, gehen sofort auf die Sinnesorgane des Lesers los. Nicht umsonst wird im Vorwort der Herausgeber stolz der Begriff „Theater in Buchform“ verwendet.
Weltkomödie Österreich ist ein präziser Titel für das Programm, das Burgtheater-Direktor Claus Peymann in den dreizehn Jahren seiner Ära mit der Republik Österreich aufgeführt hat. Denn das Burgtheater als Nationaltheater ist immer auch eine Kulmination der künstlerischen Kräfte der gesamten Republik. Mit dem Vexier-Begriff „Weltkomödie“ kommt Österreich noch gut davon, Ernsthaftigkeit und Lächerlichkeit, Weltgestus und Provinz-Handschlag lassen die Grenze zwischen Theater und politischer Realität offen.
Die Dokumentation über das Burgtheater zwischen 1986 und 1999 hat neben der Beschreibung der Theaterproduktionen immer auch die Reaktionen der Öffentlichkeit im Auge.

Teil 1 liefert in der Hauptsache Bilder von den Aufführungen, dabei sollte der Betrachter einmal die Kunstform der Theaterfotografie studieren. Mit raffinierten Bearbeitungen gelingt es, den Theaterfluß zu jeweils einem Standbild in eine neue Bewegung zu versetzen.
Die Aufzählung der Stücke gleicht der Abschrift aus einem Dramen-Handbuch und ist durchaus für die Herausbildung eines österreichischen Stücke-Kanons geeignet. Dem Sextett Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek, Ingeborg Bachmann, Peter Turrini, Hilde Spiel und George Tabori ist jeweils ein eigenes Kapitel gewidmet, zum Teil haben sie sich dafür mit der Bereitstellung von Originaltexten bedankt.
So beschreibt Peter Turrini etwa den Rückzug Claus Peymanns aus Wien als vierteiliges Stufendrama, dessen Auflösung in der allgemeinen Verklärung des Direktors besteht.
Peter Handkes Originaltext nennt sich „Der Hervorrufer“ und ist ein Aufgesang auf C. P. (Claus Peymann) in ironischer Litaneiform.
„Der Tod und das Mädchen“ heißt Elfriede Jelineks kurzes Jubiläumsstück, eine transzendente Bearbeitung des Märchens vom Schneewittchen und diversen Zwergen.
Abseits dieses Sechsergestirns ist die Theaterwelt eingeteilt in Endspiele, russische Dramen/Dramatiker, Klassiker, Helden-Antihelden oder aber einfach Schauspieler. Allein die Verknüpfung dieser Begriffe und das Kreuz- und Querlesen der Stücke ergeben mit der Zeit die Dichte eines satten Theatervorhanges.

Teil 2 nennt sich zwar schlicht „Chronik“, aber man glaubt es kaum, was sich über ein einziges Stück jeweils alles berichten läßt. Mit diesem „Chronik“-Teil werden sicher in den nächsten Jahrzehnten einige Dutzend Dissertanten bis zur Erlangung des Titels eines „Hof-Burg-Doktors“ erschöpfend bedient werden können.
Wie im Theater üblich sollte man sich der kleinen Beigaben in der Ausstattung erfreuen. Einmal ist es ein Lesezeichen, auf dem Hermann Bahrs Burgtheater-Geist aus dem Jahr 1919 skizziert ist, zum anderen sind auf einem Mehrfaltbogen Karikaturen und Schlagzeilen der österreichischen Presse zu diversen Aufführungen abgebildet. Allein dieser Bogen mit seiner Darstellung der Knalligkeit und Primitivität der österreichischen Presse beschäftigt einen neugierigen Menschen tagelang.

Es gibt eigentlich nichts, was man gegen diesen literarischen Baustein vorbringen könnte. Natürlich kommt etwas wie Jahrhundert-Melancholie auf, wenn man mit der Chronik eine immerhin ziemlich lange Epoche ausblättert. Verblüffend ist auch die Ehrlichkeit, mit der die Herausgeber Hermann Beil, Jutta Ferbers, Claus Peymann und Rita Thiele die Licht- und Schattenseiten wie professionelle Beleuchtungskünstler der Gegenwart ausgeleuchtet haben. Und letztlich ist in der Literatur nichts aufregender, als einen vitalen Grabstein zu konstruieren. Dieser Versuch ist mit der Weltkomödie Österreich für ein ganzes Land geglückt.

Hermann Beil Weltkomödie Österreich
Theatergeschichte.
Band I: Bilder.
Band II: Chronik.
Wien: Zsolnay, 1999.
1352 S.; geb.
ISBN 3-552-04946-0.

Rezension vom 15.06.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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