„Am ersten Freitag im Dezember letzten Jahres habe ich im Museum für Urgeschichte in Asparn an der Zaya aus dem mittleren der drei Schaukästen in Raum Nr. 2 im ersten Stock einen Faustkeil aus dem Altpaläolithikum gestohlen. Ich habe es nicht vorsätzlich getan. Der Gedanke ist mir erst gekommen, als ich direkt vor dieser Vitrine gestanden bin.“ So beginnt der Roman. Der diesen Faustkeil gestohlen hat, ist der namenlose Ich-Erzähler, von Berufs wegen Rezensent von Computerspielen, insgesamt einer, der recht allein und hilflos in der (realen) Welt steht. Wie soll es weitergehen nach dem ungeplanten Diebstahl? „Was muss ich als nächstes tun? Das ist wie eine Ungewissheit, wenn man in einem Level nicht weiterkommt.“ Der Erzähler streift also mit dem Auto durch das nördliche Niederösterreich, kommt nach Mistelbach, fährt weiter zum Haus der verstorbenen Großeltern. Dort trifft er überraschend seinen Bruder, den er in einem Baumhaus sitzend, mit Indianerfedern auf dem Kopf alte Fotoalben anschauend vorfindet. Weiter fährt er nach Poysdorf und von dort ins tschechische Brünn, um den Computerspielprogrammierer Kroupa zu interviewen. Dazwischen fällt er in Löcher, die die von ihm nicht mehr zu fassende Gegenwart vor ihm aufreißt.
Aus dem Tritt gekommen – so erzählt er – sei er plötzlich: „Vor einem Jahr noch war alles ganz normal. Ich war zufrieden mit meiner Anstellung bei dem Computermagazin, schrieb meine Rezensionen, berichtete über Game-Conventions und Ausstellermessen, nahm für verschiedene Artikel sogar an Rollenspielen teil und interviewte Videogamer, von denen einige jährlich mehrere 100.000 Dollar an Preisgeldern verdienten.“
Dann aber, als er eines Abends nach einem Kinofilm spazieren geht, bricht etwas in ihm: „Ich hatte ein Gefühl wie jemand, der seine letzte Chance verspielt weiß und dem von nun an der Weg zurück versperrt und der Weg nach vorne kein Weg, sondern nur eine sich trist ausdehnende Ebene ohne Richtung ist. Jemand, so mein erster Gedanke damals, hatte keine Gnade mehr mit mir, hatte mich aufgegeben, mich abgeschrieben.“
Ab diesem Zeitpunkt spielt er zwar seine Rolle in der Öffentlichkeit weiter, aber er kann sich nicht mehr als Teil der Gesellschaft, sondern nur mehr als eine Figur in einem ihm unbekannten Spiel begreifen. Er versteht die Gesetze nicht mehr, nach denen das Leben draußen weiter funktioniert und ist daher immer weniger bereit, sie zu akzeptieren. Seine Umgebung nimmt er nur mehr fragmentiert, wie bei Computerspielen wahr: Fußgänger sehen aus, als würden sie sich „nur noch dank eines Filmtricks bewegen“, sie haben „grobpixelige Körper“. Orte erinnern ihn an Computerspielsettings. „Wie in einem Rail-Shooter ist die Landschaft automatisch an mir vorbeigescrollt.“ Er hat Angst vor anderen Menschen, und zwar die eines, „der sich seiner relativen Gewalt und Überlegenheit bewusst ist, sie aber nicht ausüben und damit der Ohnmacht und Unterlegenheit der anderen entgegenkommen will.“
Bayer gelingt Großes in seinem schmalen Roman, nämlich das Porträt eines jungen Menschen, der seiner Lebensfreude verlustig gegangen ist, und der scheinbar(!) grundlos am diffusen Unbehagen an der Welt zerbricht. Dieses Gefühl zu benennen und zu explizieren, darin liegt die Stärke des Romans. Die Konsequenz, mit der der Autor sein Romangeschehen vorantreibt und die Spannung, die Bayer aus dem auf den ersten Blick recht knappen und schlichten Plot zu ziehen versteht, sind beeindruckend. Bayer lässt seinen Helden durchwegs im Perfekt, der Erzählzeit der gesprochenen Sprache des süddeutschen Raums, sprechen, im Verbund mit den sparsam gesetzten Leseranreden bekommt die Erzählung etwas Bekenntnishaftes und erzeugt einen Sog, dem man sich schwer entziehen kann. Mehr und mehr will man von dem Romanhelden wissen. Die Sprache ist flüssig und wie auch schon in den früheren Büchern messerscharf und klar, deutlich lässt sich an ihr erkennen, dass Bayer sich als Autor weiterentwickelt hat.
Es muss einem derzeit nicht Bange werden um die junge österreichische Literatur. Bayer reiht sich mit seinem Roman nahtlos ein in die Reihe höchst erfolgreicher Bücher junger österreichischer Autoren, die von Arno Geigers „Es geht uns gut“ über Daniel Kehlmanns „Die Vermessung der Welt“ zu Thomas Glavinics „Die Arbeit der Nacht“ reicht. Die beste österreichische Literatur wird derzeit – man muss das einmal sagen – von den Jungen geschrieben.