Im Jahr 2005 lädt der 40jährige Protagonist und Paranoiker Georg einen mysteriösen Mann in sein hochgesichertes Zuhause ein. Georg möchte ihm unbedingt seine Biografie erzählen, während sie Schach spielen und Bier trinken.
So erzählt er von seinem Vater, der auch Angstzustände kannte, und Mitte der 1970er Jahre Kornkreise in Felder trampelte. Kind Georg holte seinen Vater von den Feldern ab, da der Vater auf ihn hörte. Doch eines Abends hatte er über den Vater keine Macht mehr. Seitdem trat Georg innerlich in eine misstrauische, angstdurchflutete Welt ein. Die Paranoia bahnte sich: So glaubte er mit 15 Jahren, seine Nachbarin sei im Erdbeerland durch die selbstgepflückten Erdbeeren vergiftet worden. Dass sie einen Hirnschlag erlitten hatte, glaubt er bis heute nicht. Es folgten jahrelange medikamentöse Behandlungen, weswegen er die Schule nicht abschließen konnte.
Während die Angst ihn zu einem Außenseiter machte, versöhnte der Reaktorunfall von Tschernobyl ihn mit der Umgebung. Plötzlich waren seine inneren Ängste und die Ängste seiner Umgebung in Harmonie. Er fühlte sich zum ersten Mal frei. Er hielt sogar Vorträge in Selbsthilfegruppen, wo er seine zukünftige Frau Sylvia kennen lernte. Er vertraute ihr – doch zurecht?
Nach einer Phase der angstfreien Ruhe erlitt Georg 1998 einen Rückfall. Auslöser war ein Unfall, bei dem ein Mädchen verletzt wurde. Georg war Zeuge. Doch was ihn in Panik versetzte, war der Autofahrer, der vom Unfallort floh. Sollte Georg ermordet werden? Sylvia sagte, das alles finde in seinem Kopf statt. Daraufhin versteckte sich Georg für ein paar Jahre im selbsternannten Bunker, misstraute jedem, lebte spartanisch und verwahrloste. Bildet er sich das alles nur ein?
‚Strippenzieher‘ Jürgen Bauer beschreibt treffend, wie Protagonist Georg jeder Information und jeder Handlung misstraut. Wiederholte Angstsätze zementieren zudem seine wiederkehrende Paranoia. Geschickt werden die Puzzle-Teile zusammengelegt, frühere Andeutungen in die spätere Story eingeflochten. Die Spannung wird so Zug um Zug wie auf dem Schachbrett gesteigert. Wird Georg doch beobachtet? Und wie hängt dieser ominöse Mann mit der Geschichte zusammen?
Ein Thriller ist es dennoch nicht geworden. Es geht weder um politische, wirtschaftliche, noch um technologische Möglichkeiten der Überwachung, der Verfolgung, der Macht. Man mag dies durchaus bedauern, gerade in Zeiten der Massen-Überwachung durch die NSA und der Datensammelleidenschaft von Google & Co. Der Text entzieht sich bewusst dieser aktuellen Debatte. Hingegen zeigt er vielmehr die obsessive Angst und deren Auslöser sowie die Auswirkungen auf die engere Umgebung. Kurz: Was hält das Misstrauen im Inneren zusammen? Ähnlich wie in Shakespears „Othello“, wo das Taschentuch der Auslöser für Othellos Eifersuchtswahn ist, wird der Grundstein des schleichenden „Giftes“ bei Bauer im Erdbeerfeld gelegt – nach und nach besitzt die Angst Georg: Wem trauen? Was ist wahr? Auch für den Leser spannend: Inwiefern darf man einem paranoiden Erzähler glauben? Der Autor tut es, in dem er seinen Protagonisten ernst nimmt, ihn nicht der Lächerlichkeit Preis gibt.
Trocken und schwer ist der Text trotzdem nicht, da Bauer einige humorvoll-traurige Elemente hinein verwoben hat. Etwa die bereits erwähnten Kornkreise, die nicht von Außerirdischen stammen, sondern vom Vater getrampelt sind. Einige Bilder scheint der 1981 im Burgenland geborene Autor aus Filmen und Romanen der 1970er Jahre entlehnt zu haben. Etwa wenn Georgs Vater meint, dass die Welt für ihn zersplittere, verweist er auf die Schlussszene des Films „Zabriskie Point“ von Michelangelo Antonioni. Während die Beschreibung des Bunkers an Thomas Bernhards Roman „Das Kalkwerk“ erinnert. Zudem ist der Text mit stilsicheren Metaphern und genauen Vergleichen garniert.
Fazit: Jürgen Bauer hat mit seinem Roman Was wir fürchten das souveräne literarische Spiel mit der Angst und der Paranoia meisterlich auf den Kopf gestellt. Eine Leseerfahrung, auf die man sich unbedingt einlassen sollte!