In vielerlei Hinsicht erfüllt es die klassischen Erwartungen an einen Lyrikband. Es ist vor allem schmal, ist sorgfältig lektoriert, Hardcover, in schöner Schrift auf gutes Papier gesetzt.
Christoph W. Bauer schreibt auf den ersten Blick auch klassisch schöne Gedichte. Er schildert in poetischer Prosa Alltagsmelancholie, Großstadt-Tristesse, verwehte Liebe, die Sehnsucht nach Freiheit, Einsamkeit; die Jahreszeiten wechseln; Alter, Krankheit, Tod drohen. „ach ja ich red zuviel von immergleichem tod“ (S. 104).
Die Gedichte wirken oft altmodisch – niemals hätte ich beim Lesen der Texte auf einen knapp 30jährigen Autor getippt – denn sie suggerieren eine Reife, die nicht aus Erlebtem, sondern aus Nachempfundenem schöpft. Fast immer klingt die Poesie alter Meister als leises Echo nach und verleiht den Gedichten eine wohlklingende Patina, die nicht immer einer genaueren Betrachtung standhält.
Jedenfalls viel eigenwilliger als seine Inhalte ist die Sprache Christoph W. Bauers. Sie verunsichert und verwirrt im ersten Moment, erzeugt Unschärfe beim Lesen: der Satzbau stimmt nicht; die Sätze finden kein Ende, versanden, und je genauer man ihren Sinn zu enträtseln versucht, desto mehr verliert sich ihre Bedeutung. Und doch bleibt auch ein Eindruck von stimmigen Bildern, von Sprachgenauigkeit und lyrischer Dichte.
Eine Lesart von Wege verzweit gergab sich durch Zufall. Wie Bilder, die aus einer gewissen Distanz betrachtet werden wollen, um ihre Kunst zu entfalten, brauchen Bauers Gedichte einen ganz spezifischen Blickwinkel: links aus dem Augenwinkel gelesen, mit dem müßigen Blick eines Spaziergängers fallen die Sätze plötzlich ins Lot, entwickeln sie ihre poetische Kraft.
„in abgründigem gebräu einer sprache“ (S. 15).
Sprache ist Christoph W. Bauer nicht nur Stilmittel – sie ist in vielen Gedichten auch Thema. Im Zweifelsfall kann alles zu Sprache werden, jedes Empfinden, jede Handlung und jedes Ereignis: „eine letternverzahnte befürchtung aus dem morgen geblättert“ (S. 48) oder „eine hand voll worte unter die sonne zu spannen“ (S. 69). Die Auswahl der beiden Zitate ist beliebig.
Kurz angemerkt werden sollen noch kleine stilistische Eigenheiten Bauers: der Autor verwendet keine Satzzeichen, ausschließlich Kleinschreibung und als Textauszeichnung gelegentlich Kursivschrift; es gibt auch eingerückte Passagen und rechtsbündige Zeilen.
Alles in allem ist Christoph W. Bauers Wege verzweigt, wie man so schön sagt, ein interessantes und durchaus gelungenes erstes Buch.
„wohin mich worte noch führen“ (S. 107)