#Roman

Geliebteste Tochter

Alfredo Bauer

// Rezension von Wolfgang Straub

Marie Louise von Habsburg.

In seiner Biographie über die auf der Guillotine hingerichtete Marie Antoinette schreibt Stefan Zweig mit der für ihn typischen Emphase einen Satz über deren Verwandte Marie Louise, die an Napoleon verheiratete Tochter Franz I.: „Marie Louise, obwohl durch gleiches Blut verbunden, fragt – unfaßbar für unser Gefühl – in ihrer dumpfen Herzensträgheit nicht ein einziges Mal nach, wo die Frau ihren bitteren Schlaf schläft, die vor ihr in denselben Räumen derselben Tuillerien gelebt und gelitten hat“.

Zweigs Gefühlsduselei zeigt, wie in historischen Romanen alles auf die Titelfigur hingebogen werden kann; und sie macht vor allem deutlich, wie unpathetisch und lebensnah sich Alfredo Bauer der Hauptfigur seiner Biographie nähert. Dabei hat er einen schwierigeren Weg als Zweig gewählt: der „Lebensroman“ ist in Ich-Form abgefaßt, das Leben Marie Louises wird dem Leser als innerer Monolog präsentiert. Mit diesen Mitteln ist es schwierig, die nötigen historischen Fakten unterzubringen, auch Sätze wie „Siebzehn bin ich jetzt“ wirken im Gedankengebäude einer Heranwachsenden als Fremdkörper und sind zu offensichtlich Leserinformation. Aber über weiteste Strecken hält Bauer die Balance, er verwendet eine einfache, direkte Sprache für das einfache Gemüt seiner Protagonistin. Stellenweise läßt er eine subtile Ironie gegenüber seiner Ich-Erzählerin durchscheinen, ihre Launen- und Flatterhaftigkeit hebt er gerne hervor und zeigt sie mitunter als reaktionär und voller Ressentiments. Mit einigen Äußerungen macht der aus jüdischer Familie stammende, 1938 nach Argentinien geflohene Autor die Kaisertochter zu einer Vertreterin einer Art Salon-Antisemitismus.

Der Roman setzt kurz vor der Verheiratung mit dem „Monstrum“ und „Antichrist“ Napoleon ein, vor der Reise nach Paris – auf der sie sehr wohl wiederholt Marie Antoinettes gedenkt. Es findet sich noch genügend Platz, um die bigotte, körperfeindliche Atmosphäre des Schönbrunner Hofs auszubreiten. Als Kaiserin der Franzosen gewinnt sie zusehends Klarheit über die „Falschheit der Meinen“; als Herzogin von Parma und Piacenza – diese Funktion wird ihr nach dem Untergang Napoleons vom Wiener Kongreß zugewiesen – findet sie schließlich auch zu (physischem) Selbstvertrauen und zu einem offeneren Christentum.

Eine Tugend der Bauerschen Erzählweise ist die Genauigkeit, die niemals penibel wird. Das betrifft die Darstellung des Zeitkolorits wie etwa die alltäglichen Probleme der Frauen jener Zeit oder die Sprachenvielfalt an den Höfen und zieht sich hinein ins Sprachliche: das „Nun ja, ich regiere“ in Frankreich mutiert bis Parma zu einem selbstbewußten „Ich regiere“. Marie Louise emanzipiert sich zwar zunehmend von Wien, aber ihre bigotte, weltfremde Erziehung und die Naivität kommen immer wieder durch.

Einige Redundanzen, die dem historischen Roman zu eigen sind, finden sich auch in Bauers Geliebteste Tochter, schmälern aber keineswegs das Lesevergnügen. Das kann man von der äußeren Aufmachung des Buches leider nicht behaupten, die diesbezüglichen Nachlässigkeiten des Verlages sind beträchtlich.

Alfredo Bauer Geliebteste Tochter
Ein Lebensroman.
Wien: Edition Atelier, 1997.
374 S.; geb.
ISBN 3-8530-8022-7.

Rezension vom 22.01.1998

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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