#Roman

Wer liebt, dem wachsen Flügel

Gabriel Barylli

// Rezension von Helmuth Schönauer

Einem positiv denkenden Mann in der Midlife-Crisis mißtraut man als gelernter Leser wie einem Antiquitätenhändler, der einem jenseits der Vierzig einen Heiratsantrag macht. Gabriel Barylli (geb. 1957), der Tausendsassa in den Bereichen Film, Buch und Fernsehen, schickt seinen positiven Helden tatsächlich als Antiquitätenhändler in die Literatur, und er macht nicht nur filmreife Heiratsanträge, sondern auch Anträge an den Leser, das Leben positiv zu sehen.

Mit vorerst reservierten Gefühlen läßt man sich auf Baryllis Heldenmonolog ein, der naturgemäß aus sehr viel assoziativem Trash besteht. Der Erzähler fuchtelt mit seiner Seele gar nicht lange herum, vielmehr wird das Leben wie Lava ausgegossen, sodaß sich vor allem der ungeduldige Leser an der heißen Seelenbrühe verbrennen kann.

Dennoch kehrt bald eine gewisse Ordnung ein, denn die Wörter hurtig und munter erinnern an ein frühes Buch aus der Kindheit, gleichzeitig gesellt sich auch das passende Wetter dazu, und plötzlich sind wir alle in Salzburg, wo während der Festspiele die Gedanken aus Butter und Honig sind.
Wie eine Bio-Biene summt der schwer Verliebte nun von Glückskelch zu Glückskelch und nippt an allen Schaufenstern die ganze Getreidegasse hinauf und hinunter. Glücklicherweise können sich in der Physik die Atome nicht verlieben, denn sonst wäre die Welt wohl schon mehr als einmal aus dem Leim gegangen und hätte sich in Gefühlssäften aufgelöst. Barylli schickt seinen verliebten Erzähler aus Überschwang in verschiedene Sachgebiete, wo sich die Liebe jeweils recht unnütz vorkommt. So ist etwa die Liebe wie ein Atom, das durch spontane Energiezufuhr den berüchtigten Quantensprung macht. Jedoch fällt das arme Atom wieder in sich zusammen, wenn die Liebe nachläßt. Da ein Seelenstrom nie logisch, sondern höchstens psychologisch dahinfließt, können Erklärungen zum Zustand der Welt durchaus seltsam ausfallen. Eine tolle Erklärung für die Einsamkeit des Herzens gipfelt darin, daß es einsam sein muß, da es von einem völlig einsamen Menschen, nämlich von Bill Gates, erfunden worden ist.
Ein paar Seiten später setzen Männer plötzlich gespiegelte Sonnenbrillen auf, und Frauen werfen sich unter eine ungewöhnliche Frisur, was wieder auf die berüchtigte Midlife-Crisis hindeutet.
Schließlich zieht sich noch ein Antiquitätenwitz durch den ganzen Gedankenstrom namens Romans: „Wissen Sie, warum die Frauen zehntausend Jahre lang unterdrückt wurden? – Es hat sich bewährt!“

Als Leser will man sich nach diesem Roman nicht unbedingt verlieben, denn wer weiß, ob sich so eine Affäre ebenso leicht zuklappen läßt wie dieses Buch.
Gabriel Barylli, der es spielend schafft, Kulturseiten und Seitenblicke mit einer Handbewegung zu füllen, geht auch in seiner literarischen Produktion mit Tempo ans Werk. Indem er Filmstoffe, Theaterregie und Glanzrollen in einem medialen Aufwaschen erledigt, fallen die Bücher geradezu wie von selbst geschrieben an.
Für Leser, die sich jährlich nach dem Stand der Midlife-Crisis in Ägypten („Nachmittag am Meer“) oder in Europa erkundigen möchten, ist Barylli als Trendsetter unentbehrlich. Und man glaubt es kaum: Trotz aller Reserviertheit vor der Lektüre entwickelt dieser Gedankenstrom der Barylli-Helden Saugkraft, die einen vom Leben abzieht. Daß man dabei nicht unbedingt auf tiefgehende Gedanken kommt, ist im Programm vermutlich vorgesehen.
„Das Kultbuch zum Kinofilm“ heißt es am Umschlag. Und wie immer, wenn es auf die Schnelle gehen soll, wird aus Kultur ein Kult.

Gabriel Barylli Wer liebt, dem wachsen Flügel
Roman.
München: Nymphenburger, 1999.
192 S.; geb.
ISBN 3-485-00809-5.

Rezension vom 22.02.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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