Ich-Erzähler Kurt zieht 2014 in die Laimgrubengasse im sechsten Bezirk in Wien. Sein erster schlechter Eindruck schwindet bald, als er sich an die hellhörige Wohnung gewöhnt und seine Nachbar:innen näher kennenlernt. Da ist der ältere Herr Drechsler, der seine Frau vor Jahrzehnten für eine Nachbarin im Genossenschaftshaus verlassen hat – schade nur, dass sie sich von ihm wieder distanziert hat. Allerdings hat er sich in die neu eingezogene Nachbarin Regina verliebt, zeitgleich erhält er eine Krebsdiagnose. Aber nicht nur Herrn Drechsler bringt Regina durcheinander, sondern auch Kurt und seinen besten Freund Frederik. Sie verführt sowohl Kurt, obwohl dieser schwul ist, als auch Frederik, der noch die Trennung von seiner Freundin Yasmina verarbeitet – was für eine Melange!
Dem nicht genug: Kurt, der Deutsch an der Abendschule der Handelsakademie unterrichtet, hat sich in seinen wunderschönen Vorzeigeschüler, den kurdischen Flüchtling Ferhat, verliebt. Allerdings fehlt dieser ab einem bestimmten Zeitpunkt häufiger, bis er gar nicht mehr in die Schule kommt. Kurt trifft ihn bei queeren Veranstaltungen und in einer Gay-Bar. Ferhat meint, dass er für eine bestimmte Zeit nicht kommen könne, aber in ein paar Wochen wieder regelmäßig im Unterricht erscheinen werde. Als Kurt in der Zeitung liest, dass Erdogan am 19. Juni 2014 in Wien eine Wahlkampfrede hält, glaubt er, Ferhat wolle auf den türkischen Präsidenten einen Anschlag verüben. Voller Anspannung wartet er diesen Tag ab, geht unter die Demonstrant:innen, verfolgt die Nachrichten, späht nach Ferhat. Nichts zu hören und zu sehen, bis Ferhat am Abend verletzt vor seiner Türe steht …
Dominik Barta hat einen überzeugenden, vielschichtigen Roman vorgelegt. Alle heißen Themen der letzten Jahre kommen vor: Von #metoo bis Klassismus, von Homophobie bis Fremdenfeindlichkeit. Mehr noch: Er beschreibt sehr richtig zum einen die Hysterie rund um diese Themen, zum anderen aber auch, wie tief Ängste und Feindlichkeiten verwurzelt sind und sich in vermeintlich harmlosen Aussagen Bahn brechen. Am Beispiel der Figuren Yasmina und Frederik, beide um die dreißig Jahre alt, wird dies deutlich. Der Syrienkrieg macht ihr arg zu schaffen, sie schließt sich einer Facebook-Gruppe an, um sich auszutauschen. Immer wieder muss sich Frederik anhören, dass er dies oder jenes nicht verstehe, weil er weiß sei. Zudem wünscht sich Frederik Kinder mit Yasmina, was sie allerdings als übergriffig und machohaft empfindet. In einer dieser Streitereien beleidigt er sie als „G’spritzte“. Frederik muss darauf – trotz Entschuldigungsbekundungen – ihre gemeinsame Wohnung verlassen. Solche Themen spalten nicht nur eine Gesellschaft, sondern auch Beziehungen. Doch wie damit umgehen? Frederik ist immer noch in Yasmina verliebt. Kommen sie dennoch zusammen?
Das Besondere an diesem Roman ist auch, dass Barta – im Gegensatz zu vielen seiner deutschsprachigen Kolleg:innen – auf unterschiedliche Einkommens- und Vermögensverhältnisse hinweist. Frederik wird von Yasminas Vater abgewiesen, weil Frederiks Vater Busfahrer ist. Während Yasminas Eltern, die aus Beirut stammen, wohlhabend sind und im herrschaftlichen achtzehnten Wiener Bezirk wohnen, wo auch Yasmina aufgewachsen ist. Während Frederik und Kurt im Arbeiterbezirk Simmering groß geworden sind. Barta spielt mit den Erwartungen und Vorurteilen der Leser:innen, hinterfragt und bedient Klischees und fragt klug nach den Machtstrukturen. Des Weiteren hat Barta eine große Überraschung am Ende des Romans parat, wo die Weltpolitik sich als Nachbarin entpuppt.
Fazit: Dominik Barta hat mit Tür an Tür einen kurzweiligen, brillant geschriebenen Roman veröffentlicht. Er zeigt, wie aus Nachbar:innen eine Familie à la Goethes „Wahlverwandtschaften“ entsteht, wie Solidarität und Menschlichkeit weiterhin in Österreich existieren und wie um die „richtige“ Lebenshaltung bzw. den Lebensstil gerungen wird. Eine Hommage an das offene Haus Wien, an das offene Haus Österreich.