Sie macht sich Gedanken über ihren schwulen Freund Alfred mit den hausfraulichen Ambitionen, die ihm schon zweimal den Großen Bezirkspreis für den schönsten Blumenschmuck eingebracht haben; über die transsexuelle Venezuela, die zugleich eine gefragte naturwissenschaftliche Forscherin ist, bei deren Anblick sie sich fragt, ob sie ihr Frausein überhaupt ernst genug nimmt; über die Freundin Isabelle aus Marseille, die sich aus einer Laune heraus eine Zeitlang Léa nennt und ihre Erfahrungen an den Psychoseiten von Frauenzeitschriften mißt; und nicht zuletzt über sich selbst und ihre gescheiterten Beziehungen zu Männern wie dem „Kunstprodukt“ Klaus, der von ihr nicht mehr erwartet, als daß sie – notfalls durch sportliches Training und operative Eingriffe – so aussieht wie „Kim Basinger mit fünfundzwanzig Jahren und bei optimaler Beleuchtung“.
Die „Identität“ mit dem Namen zu wechseln ist, in diesem Buch ein durchgängiges Motiv, das auch anhand einer (wie im Buch betont wird) von einem Mann geschaffenen Gestalt aus der Literaturgeschichte debattiert wird: Wedekinds Lulu, die ideale Geliebte, die immer genau zu der Frau wird, nach der es den jeweiligen Liebhaber gelüstet und die er mit einem Namen seiner Wahl bezeichnet. Geschlechter sind letztendlich nur Projektions- und Konstruktionsfelder der Gesellschaft. Daß dabei Erwartungen der Außenwelt mit persönlichen Identitätsvorstellungen kollidieren können, ist eine Einsicht, die bis zum Überdruß (weil ohne Tiefgang) mittlerweile schon in nachmittäglichen TV-Talkshows ausgebreitet wird.
Bettin Balàka sammelt in ihrem Roman Bruchstücke aus dem Leben in der heutigen Mediengesellschaft und baut daraus eine Montage aus Briefwechseln via E-mail, Kurzdialogen sowie komprimierten (Telefon-)Gesprächen und Erzählpassagen aus der Perspektive der Ich-Erzählerin Graziani. Sie skizziert und kommentiert diese Phänomene, Begebenheiten und Lebensentwürfe in einem lakonischen, sprachkritischen Erzählduktus, der – vielleicht in Opposition zu den einfach codierten Fernsehjargons – auch in altmodisch-umständliche Sprechweisen kippen kann, nie aber seine ironische Grundhaltung verliert. Die Welt der Neuen Medien taucht in Hinblick auf die alltägliche Anwendbarkeit des PCs und als angedeutete gedankliches Ordnungsmetapher auf, wird jedoch gerade nicht als dieses modische und gegenwärtige und für Kulturpessimisten so bedrohliche Universum der Freaks und Fortschrittswilligen evoziert. Der Cyberspace ist aber trotzdem präsent, auch wenn oder gerade weil er betont ausgeblendet bleibt und die Autorin etwas anachronistisch die Frage der Virtualität in Zusammenhang mit einer uralten musealen Praxis, der Tierpräparation, aufwirft.
Der langangehaltene Atem ist gut geschrieben, streckenweise auch unterhaltsam und definitiv einem Literaturbegriff verpflichtet, der die abgehobenen (und zum Teil schon ausgetretenen) Gänge der Sprachreflexion und des assoziativen, fragmentarischen Vorsichhinfabulierens der Vermittlung eines kompakten formalen Konzepts vorzieht. Das muß nicht als Einwand gelten, ist in diesem Fall in Bezug auf die Gattungsfrage aber nicht ganz unerheblich: Es ist nämlich eigentlich nicht ersichtlich, warum Bettina Balàka ihr Buch ausgerechnet als Roman gelesen haben will, obwohl es dies nur rudimentär ist (und sein will?) und auch Dekonstruktionsabsichten nicht unbedingt im Vordergrund stehen (wenn auch als Tradition vorausgesetzt werden?), sie dieser spezifischen Form gegenüber also eine indifferente Haltung einzunehmen scheint.