mia san mia - wean und de wööd

El Awadalla

// Rezension von Helmuth Schönauer

mia san mia, dieser Titel über Wien als dem wahren Mittelpunkt der Erde, steht sowohl für ein abendfüllendes Programm als auch für das dazu passende Buch. Die Autorin El Awadalla hat das Programm nach den Gesetzen der Erwachsenenbildung zusammengestellt, Mundart wechselt mit Texten in sogenannter gehobener Umgangssprache, elegische Depressions-Schübe variieren mit zornigem Aufbegehren, und das kleine Quadrat im Stadtplan wird den großen Koordinaten des Globus gegenübergestellt.

Der Wechsel zwischen den einzelnen Themen und Sprachcodes erweist sich als eine wesentliche Botschaft. Wann wird in Mundart gesprochen, wann wird umgeschaltet auf eine „abgehobenere“ Sprache? Auf diese Frage geht die Autorin in ihrem Vorwort ein und streicht als markantes Kindheitserlebnis jene Stelle des Tages hervor, wo das Traummännlein plötzlich in einer auffallend „schönen“ Sprache zum Träumen einlud, als ob Träume in Mundart zu realistisch wären.

Der erste Teil der Partitur zu den Aufführungen widmet sich der Zustandsanalyse: „s weda in da schdood druggdmi nida“ beginnt als Beschreibung einer Depression und endet mit einem sarkastischen „Blut- und Boden-Gedicht“: „wo i daham bin / lebt boid kana mea / da boon foi bluad / des bluad foi schnobs / foi schnobs das bluad / foi bluad da boon“ (13)

In den folgenden Gedichtzyklen zur Natur, über das Leid und die (damit verbundenen) Kinder, über das Hineinfressen von Problemen und den völlig niveaulosen Sport räsonnieren lyrische Figuren in jenem süffisanten Ton, der in der Wiener Mundart einen unübertrefflichen Höhepunkt zu erreichen vermag. Letztlich dreht sich ein imaginäres Karussell von Räsonnieren, Aufbegehren und Aufgeben seit jeher an allen denkbaren Schauplätzen der Stadt.

In Gestalt von Kurzessays, Handlungsanleitungen oder Regieanweisungen für den Leser sind in die Mundart-Zyklen immer wieder Texte in „schöner Traummännlein-Sprache“ eingeflochten. So wird etwa das perverse Grundmuster einer jeden Karriere aufgezeichnet und abschließend gleich in seinen Auswirkungen auf einen konkreten Onkel untersucht. Diesem auf diffuse Art erfolgreichen Onkel wird die Karriere eines Papageis gegenübergestellt, der es auf seine Art noch weiter gebracht hat.

Für den Leser entsteht der Eindruck einer rasanten Revue durch den Alltag von Vorurteilen, aus der Hüfte geschossenen Kommentaren und Besserwisserei, die durch schwere Melancholie und Selbsthinrichtung unterbrochen wird.

Während das Programm auf der Bühne oft durch Musik aufgegliedert wird, gibt es im Buch Fotos als Gliederungselemente und Anregung zur Meditation. Diese Fotos von Andreas Gartner sind subtile Ausschnitte aus der Bilderwelt großer Erwartungen.

El Awadella mia san mia – wean und de wööd
Lyrik.
Mit Fotografien von Andreas Gartner.
Wien: Uhudla Edition, 2001.
68 S.; brosch.
ISBN 3-901561-16-1

Rezension vom 06.07.2001

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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