#Audio

Flieger, grüß mir die Sonne

H. C. Artmann

// Rezension von Lisa Spalt

Ausgerechnet mit einem Lied von Hans Albers, dem zackigen „Flieger, grüß mir die Sonne!“ von 1932 bringt Artmann seine Erzählung aus dem Band „How much Schatzi?“ über den Titel in Verbindung. Albers, vom jüdischen Förderer Eugen Burg unterstützt, mit dessen Tochter liiert, aus Gründen der Opportunität in der Zeit des Nationalsozialismus von ihr getrennt, Mitwirkender an ersten Nazi-Propagandafilmen bereits in den 1930er Jahren, 1941 Hauptdarsteller und Produzent des Propagandafilms „Carl Peters“, trennt sich 1946 von seiner zwischenzeitlichen Freundin und lebt bis zu seinem Lebensende wieder mit der Jüdin Hansi Burg zusammen.

Was ruft Artmann mit diesem Titel auf? Die Generation „Wunschkonzert“ erinnert sich bei Hans Albers wohl am ehesten an Kaffee- und Kuchendüfte in schlecht gelüfteten Samstagnachmittagswohnzimmern, an eine seltsam hysterische Atmosphäre, generiert vom absoluten Willen, auf dem Boden gereizter Stimmung die heile Welt der Telenovelas im ländlichen Österreich zu simulieren – und nur die Großeltern wissen, dass das gleichnamige „Wunschkonzert“ im Krieg eine der Wehrmacht gewidmete deutsche Rundfunksendung war; seltsame Verwerfungen in der Wahrnehmung daher; die Enkel spüren, dass die Älteren in für sie unzugänglichen Sphären schweben, dass hier viel Schein vor allerhand Wahrheit erzeugt wird, aber sie wissen nicht, vor welcher.
Der Nenner, auf den das ganze Konglomerat zu bringen wäre? Heute kommt der Geburtstagsopa im Radio, heute ist er wer, er hat den Sonntagsanzug an, und Hans Albers singt für ihn persönlich, und die Oma sieht auf zu diesem intimen Freund der Seemänner und Flieger, er war in der weiten Welt, ein Held.
Der Nenner, auf den das ganze Konglomerat zu bringen wäre? Heute kommt der Geburtstagsopa im Radio, heute ist er wer, er hat den Sonntagsanzug an, und Hans Albers singt für ihn persönlich, und die Oma sieht auf zu diesem intimen Freund der Seemänner und Flieger, er war in der weiten Welt, ein Held.

Und hier haben wir nun also diese Sehnsucht, die Artmann thematisiert und bei aller Ironie niemals denunziert: Aller Lächerlichkeit des Lebendigen begegnet er mit schnittigem Humor und schenkt dennoch dem schlitternden Kampf um etwas Würde stets einen verständnisvollen Blick.
Sind wir nicht alle Schwindler in unserem Bisschen Grandiosität?
Artmanns Protagonist René – René, der Wiedergeborene! – de Clavigny – Clavigny vielleicht von Georges Clavigny, Autor von Abenteuer- und Schundromanen? – dieser Wiedergeborene also aus dem Geiste des Schundromans, steckt im klassischen Dilemma: Sein Selbst-Wunschbild weicht doch allzu sehr von der physischen und geistigen Realität ab, die ihm zur Verfügung steht, sein Trieb zum Sieg aber ist dennoch unbrechbar. Und so versucht man, das Schicksal eben lieber nicht zu bewältigen, sondern vielmehr auf die krumme Tour zu bezwingen. Wenigstens ein gewisser Anschein muss erreicht werden. Also fälscht man einen Pilotenschein – ja, die Gesellschaft, der es so sehr um den Schein geht: Hält man ihr somit nicht gerade die richtige Legitimation entgegen? Und haben wir im Grunde nicht alle einen Wasserkopf, Basedow-Augen, Hasenscharten, eine schiefe Schulter, einen Spitzbauch, affenhaft behaarte O-Beine und abstehende Ohren mit angewachsenen Läppchen?
Hier kommen wir alle, wir Verfemten, über die Identifizierung mit René de Clavigny, dessen echten Namen nicht einmal ein Feind besser erfinden hätte können, wie der Erzähler bemerkt, halbwegs zu unserem Recht.
Dieser junge Mann begehrt auf gegen seine Imperfektionen, gegen sein Schicksal.
Und der Text scheint mit einem Mal topaktuell: „Mit etwas gutem Willen sind auch Sie schön“, so wohl das Motto des unter dem schicken Pseudonym de Clavigny figurierenden Herrn, so das Motto der Jetztzeit, nicht? Nur eben: Bei Artmann geht einer, was schließlich auch den Charme der Figur ausmacht, mit der Improvisationsliebe Charly Chaplins ans Werk und nicht mit dem Skalpell; aufblasbare Waden, ein Korsett, rosafarbenes Leukoplast über der Hasenscharte, das Toupet und die Männlichkeitsprothese für alle Fälle … Dieser René gibt gern eine halbe Lunge, um das Erzeugen von Rauchringen zu erlernen. Haftschalen, Schminke, ein gefälschter Pilotenschein, ein ebensolcher Schnurrbart und etwas vorgeblich selbstgemachte Poesie, bei der es sich um aus der deutschen Übersetzung rückübersetzte Rimbaud-Gedichte handelt, komplettieren den Winner. Und sein Publikum kommt dem Schwindler nicht auf die Schliche, warum? Nun, weil es eben selbst der Schicht der „Durchschnittsversager“ angehört.

So wird de Clavigny als ein Mann von „mittelblendendem“ Aussehen gewürdigt. Und ein paar Unwahrscheinlichkeiten werden von Artmann auch noch wie Glitzerpailletten über den Text verstreut: Merkt wirklich keiner, dass seine Schuhe den Flieger um sieben Zentimeter größer machen? Dass seine Galanterie nur bis zum Charme des Waschmaschinenverkäufers reicht – warum fällt das dem brünhildegleichen deutschen Fräulein Agneta Tigges nicht auf? Dass de Clavigny vulgo KrchPfrrchPfrz im ständigen Kampf mit der Materie steht, dass seinen Waden die Luft ausgeht und sein Schnurrbart sich vom um Souveränität kämpfenden Fliegergesicht lösen möchte?
Gegen Ende des Textes wird plötzlich klar: Er ist wohl nichts anderes als der Schrift gewordene Albtraum jedes Dandys. Hier ist die eigene Grandiosität ständig bedroht, der Mensch meldet sich unter den Prothesen und Masken dauernd als banaler Körper zu Wort. Wie das Verdrängte im Unbewussten taucht da ein Alain Bondieu auf: Guter Gott (so die Übersetzung des Namens: ach, dieser Gottseibeiuns der Wahrheit, ein langhaariger Linker, dessen Jeans vor lauter Schmutz im Dunkeln phosphoreszieren)! Ein kleiner Erpressungsversuch, dann aber brennt vor der Küste des Seebads, in dem de Clavigny seinen Zielen näher zu kommen sucht – nämlich: ein Weiberheld zu sein, den Flugschein zu besitzen und die Banken in den Casinos zu sprengen – die Townsend, die von den Lauten her so schön mit den Tänzern und Tänzerinnen aus dem „Dancing“ konveniert, eine Detonation, ein Prasseln, Damen stöhnen in Nesseln, es kommt zu allerhand Brennen und Rennen … Und diesmal wird der Kerl, der stets als Held gefeiert werden will, zum Schwindler zweiter Ordnung, wird unversehens wieder echt: So sicher ist er, dass das Motorboot, das er zu starten vorgibt, um den Retter der Schiffbrüchigen zu mimen, an Land gut vertäut ist, doch kommt man dem Helden in spe dummer Weise zu Hilfe, schon schießt er raus aufs finster liegende Wasser. –

Und dann klafft dieses Loch in der Erzählung. Und in diesem schafft es der Grandiose endlich doch noch, die Seite zu wechseln: Während an Land sein Name, seine Maskerade als heldischer Retter gefeiert werden, erhaschen wir einen letzten, kurzen Blick auf einen hässlichen Namenlosen, der dankbar an dem den Geretteten der Katastrophe offerierten Grog nuckelt. Mit dem ganzen im Wasser versunkenen Ornat hat sich der Schein vom Menschen getrennt, der KrchPfrrchPfrz hat sich vom de Clavigny abgespalten – „für so was hat sich ein mann wie de Clavigny geopfert“, lästert ein älterer Herr mit Brille und täuscht sich mithin ein letztes Mal in Artmanns Helden, der, wie wir somit erkennen, nicht nur der Sprache nach im Antihelden stecken kann.

Der Text ist zu lesen, der Text ist zu hören – beides möglich, indem man das sehr aufwendig gestaltete Hardcoverhörbüchlein aus dem Mandelbaumverlag ersteht. Erwin Steinhauer liest auf der CD den Text. Und rundum, nämlich oben und unten wie links und rechts, also zur Untermalung und Rahmung, gibt es hier Variationen über den Flieger und ähnlich geartete Songs von Peter Rosmanith, Georg Graf und Jo Pinkl zu hören – rundum ein feines Projekt.

H. C. Artmann Flieger, grüß mir die Sonne
Klangbuch.
Sprecher: Erwin Steinhauer.
Musik: Georg Graf, Peter Rosmanith, Joe Pinkl.
Wien: Mandelbaum, 2012.
32 S.; geb.; m. CD.
ISBN 978385476-387-1.

Rezension vom 14.02.2013

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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