#Lyrik

in der todesstunde von alfons alfred schmidt

Martin Amanshauser

// Rezension von Karin Cerny

„Martin Amanshauser reißt der schäbigen Welt die Maske vom Gesicht.“: so und nicht anders lautet das Gesetz des Dschungels. Alles klar? Der „Dschungel“, das sollte man vielleicht wissen, ist ein rein virtueller, so nennt sich nämlich die kleine elektronische Insel, die sich Martin Amanshauser auf der Homepage des Deuticke Verlages eingerichtet hat. Im „Dschungel“ schreibt Amanshauser über „Tatoomenschen“ ebenso wie „Zur Lage der Nation“. Literarischer Wildwuchs sozusagen. Sein Motto, siehe oben.

Amanshausers neues, in herkömmlich gebundener Form erschienenes Buch in der todesstunde von alfons alfred schmidt ist wohlgeordnet und zielt thematisch mitten ins „goldene Wienerherz“, das bekanntlich eine Mördergrube ist. Wie der Untertitel auflistet, umfaßt das Buch drei „Genres“: „eine heurigenoper, gedichte & eine taschenbahn“, wobei letzteres am ehesten der konkreten Poesie zuzurechnen ist. Die titelgebende Heurigenoper mit der Musik von Erik Freitag wurde bereits 1999 im Wiener WUK uraufgeführt (Instrumente: „kleines becken, triangel, maraca, bongos, guiro, autohupe, papiersack, trillerpfeife, brett mit hammer“).

Es kommt, wie es in einer schäbigen Welt kommen muß. Tatort Heuriger: einer stirbt, manche sagen sogar, er wurde vergiftet, und die anderen essen weiter. Man merkt, Amanshauser bleibt seiner Liebe, dem Wiener Stadtkrimi, treu, doch wer der Mörder war, interessiert diesmal ausnahmsweise keinen – „andere werden den liptauer beschuldigen“. Allein die Sprecherin klagt wie ein griechischer Chor: „oh engstirnigkeit! oh abwesenheit von gefühl!“. In der Vitrine hingegen ist es unentschieden: „der liptauer lächelt: radieschen weinen“. In der Todesstunde des Chirurgen Dr. Alfons Alfred Schmidt geht es trotz Veltlinerstimmung recht nüchtern zu. Seine drei Töchter rechnen lapidar mit ihrem Vater ab, bevor sie mit ihren „boys“ in die „disconacht, wo keine schrammeln klagen“, flitzen. Der einen Tochter hat der Tote gerne beim Abtreiben geholfen, der anderen ging er „veltlinervoll“ oft ans „hymen“.

Martin Amanshauser spielt geschickt und stilsicher mit dem Kontrast von hoher, altmodischer Sprache, von dunkler Moritat und Wienerliedtraurigkeit und saloppem Ton von heute: „ein mond schaut böse / in die sternennacht / als unter getöse / sein dickdarm kracht“.
Vermutlich die erste Oper aus dem Geiste eines Wienerliedes.

Auch die folgenden Gedichte haben jede Menge Lokalkolorit und doppelten Boden. „am tag nachdem edwin strohball aus der sozialistischen partei ausgetreten war“ – ein Titel wie eine Heiligenlegende oder ein Schlager oder beides – beschließt er, sein Geschlechtsteil nicht länger totzuschweigen. Schluß mit seiner Rücksicht auf seine zarte Gattin, die er fürchtet, damit zu erschrecken. Und siehe da: „in jener nacht entstand ein sohn / der später von beruf erfolgreicher beamter wurde“.

Amanshausers Texte sind in der Realität verankert durch Namensgebung der Personen und noch mehr durch Nennung verschiedenster Orte und Bezirke, die jeder kennt, der in Wien lebt.
Es sind Gedichte, die sich nicht nach dem sprachlichen Dialekt richten – Amanshauser schreibt Hochdeutsch – , sondern nach der Dialektik der Stadt. Sie sind Spaziergänge durch Wien – von der Peripherie in die U-Bahn, vom Gemeindebau zum Kommerzialrat, von einem „abend in der leopoldstadt“ zu einem „nachmittag von paul stasny geträumt“ in Heiligenstadt -, aber auch durch die Wiener: von der Briefträgerin „dorli steger“ zu „josef rattenhalter“, dem Prokuristen aus Meidling.
Sie haben etwas gut Zupackendes, diese kleinen Geschichten, die Amanshauser in seinen Gedichten erzählt. Zwar reihen sie sich nahtlos ein in eine Tradition von Wien-Literatur, die mit einer schwarzen Tinte geschrieben ist, die die dunklen Seiten und Abgründe der Wiener Seele in eine pointierte Form bringt; trotzdem findet Amanshauser einen ganz eigenen Ton: salopp und doch genau, knapp und doch vieldeutig, witzig und doch im Grunde melancholisch, angelehnt an die zeitlosen „Geschichten aus dem Wienerwald“ und doch von heute. Vielleicht kann man sagen: progressiv altmodisch. Er greift etwas Altes auf und pumpt ihm frisches Blut ein. Auf jeden Fall hat man nie das Gefühl, daß Amanshauser Klischees breittritt, ebenso wenig aber versucht er, toll originell und poitenorientiert zu sein.

Die „taschenbahn“ am Schluß fährt aus den üblichen topographischen Bahnen. Wörter in verschiedenen Schriftgrößen, oft nur eines pro Seite, springen von hier nach dort, vom „mailänder dom“ zu den „rolling stones“, von einer „damenmilbe“ zum „verbrechen“. Am besten springt man mit und liest kreuz und quer, von oben nach unten, von rechts nach links. Auch das ist ein Gesetz des Dschungels: Pfade sucht man selbst.

Martin Amanshauser in der todesstunde von alfons alfred schmidt
eine heurigenoper, gedichte & eine taschenbahn.
Wien, München: Deuticke, 1999.
80 S.; geb.
ISBN 3-216-30518-X.

Rezension vom 09.03.2000

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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