#Prosa

Mansardenbuch

Gerhard Amanshauser

// Rezension von Helmuth Schönauer

Eine Mansarde ist an und für sich eine Hommage an jenen französischen Baumeister Mansart, der erstmals im 17. Jahrhundert in die Dachstühle Wohnungen mit schrägen Wänden hineingepreßt hat. Gerhard Amanshauser nimmt diese bautechnische Idee als Grundlage für seine Mansarden-Texte, er nutzt quasi den letzten Gedankenraum im Kopf aus, um darin seine Miniaturen zu planen und unter Dach und Fach zu bringen.

Äußerer Anlaß für das Mansardenbuch ist für den Autor freilich seine Übersiedlung vom Terrassenzimmer ins renovierte Mansardenzimmer. In der dem Buch vorangestellten Notiz liest man: „Im ‚Terrassenbuch‘ heißt es: ‚Zum zweiunddreißigsten Mal geht es jetzt um die Sonne‘. Auf die gleiche Art wird das ‚Mansardenbuch‘ datiert: ‚Zum siebzigsten Mal geht es jetzt um die Sonne‘.“ (S. 9)

„Mir bleibt nichts übrig, als meinen Sätzen einen kleinen Spielraum zu erschließen und ihren Launen zu folgen“ (S. 13) Die scheinbar kleinen Texte widmen sich aber trotz ihrer knappen Anlage gewaltigen Themen.
Für den Autor ist das Mansardenzimmer die „direkte“ Welt, was Geräusche und Temperaturen betrifft. Als zweite Haut korrespondiert es allerdings mit dem Weltall, und zu Zeiten des Äquinoktums wandert die Sonne über das Bett, das millimetergenau unter der Dachluke steht.

Immer wieder kommt der Mathematiker und Physiker in Gerhard Amanshauser zum Durchbruch, für den Präzision an unerwarteter Stelle eine Selbstverständlichkeit ist. So verblüfft es nur auf den ersten Blick, wenn der allgemeine Verkehr und die damit verbundenen Geräusche durch Nullsummen-Rechnungen von Schrödinger und Niels Bohr kurz und bündig erklärt werden.

Aber auch als Überlebensstratege stellt Gerhard Amanshauser immer wieder seltsame Überlegungen an. So setzt etwa die gefürchtete Altersdemenz frische Erinnerungen an die Kindheit frei, womit das Niveau der Gedanken wieder auf gleicher Höhe gehalten werden kann. Was die Beine an Raumbewältigung im Alter aufgeben, holt eine neue Logistik des Denkens wieder spielend auf.

Selbstverständlich hält sich auch der Ironiker Amanshauser nicht zurück und gewinnt dem Chaos, das durch die Umbenennung der Straßen entsteht, durchaus einen höheren Sinn ab. Einen schrägen Sinn braucht man auch, wenn man die berüchtigte Getreidegasse begehen will, eigentlich genügt es, ihr nahe zu kommen, denn eine Begehung hält man auf Dauer nicht aus.
Und glücklicherweise haben die Amerikaner der Familie des Autors für alle Zeiten eine makellose Vergangenheit beschert, als sie bei einem Bombenangriff die Nazifahne samt Fahnstange gezielt aus dem Haus sprengten.

Das Mansardenbuch enthält viele Geschichten zum Schmunzeln, Nachdenken und Sinnieren. Die straffe innere Logik birgt manchmal die Paradoxie eines Koans in sich. Dieser Vergleich mit asiatischen Weisheiten ist durchaus zulässig, da sich viele Geschichten auf die chinesische, koreanische und japanische Kultur beziehen. Und Amanshauser wählt schließlich manchmal auch den raffinierten Erzählstandpunkt eines „Meisters des östlichen Blicks“, wenn er mit aufgestülpten Hosen in den Indischen Ozean hineinwatet. – „Aber am Gelben Meer war ich nie.“ (S. 53)

Gerhard Amanshauser Mansardenbuch
Erzählungen.
Weitra: Bibliothek der Provinz, 1999.
90 S.; geb.
ISBN 3-85252-290-0.

Rezension vom 24.06.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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