Wer ist Roman?
Die Spur halten. Scheibenwischer zucken über die Fahrbahn, verschwommen wird klar, verschwommen wird klar, links schießen die Autos vorbei und Roman soll die Spur halten. Erst hier ist ihm aufgefallen: links sitzen und mittig fahren bedeutet, dass mittig fahren so aussieht, als wäre man halb auf der nächsten Fahrbahn. Sven mal wieder keine Hilfe, stattdessen am Predigen: „Probleme entstehen, wenn wir einen Unterschied wahrnehmen zwischen dem, was ist und dem, wie wir‘s haben wollen.“
Der rechte Seitenspiegel ist seine Rettung. Er zeigt, ob der Hinterreifen mit dem Seitenstreifen auf Linie ist. Er zeigt nichts vom restlichen Wahnsinn. Sven hebt weiter ab, irgendwas vom Ursprung alles menschlichen Leids und einem Fallen stellenden Ego und: „So. Wenn du nicht aufhörst, hier rumzuschlingern, muss ich dir ins Lenkrad greifen. Spur halten jetzt.“
„Okay.“
„Und wieso schaust du so in den Seitenspiegel?“
„Weiß nicht. Muss ich da nicht reinschauen?“
„Es gibt keinen Grund, wieso du gerade in den Seitenspiegel schauen solltest, vor allem nicht in den rechten. Da gibt’s absolut nichts Relevantes für dich zu sehen.“
„Okay, ja, stimmt.“
„Nervös?“
„Ja.“
„Pause?“
„Ja.“
Die Panoramaraststätte Albblick bietet denselben Ausblick wie alle Raststätten hier. Hinten platte Waldhügel, vorn das Gesprenkel aus Dörfern, Höfen und Kleinstädten. Roman fragt sich, ob er hier schon mal gewesen ist. Ob die Raststätte näher an Balingen oder Rottweil oder Schramberg oder Villingen ist. Nordöstlich oder südwestlich von zu Hause. Auf der A1, A8 oder A3. Ob es ein Problem ist, auf diese Fragen keine Antwort zu wissen oder ein Zeichen gesunder Informationsselektion. Informationsselektion, dass ihm das einfällt, ziemlich gut.
Sven setzt sich auf eine aufgeweichte Picknickbank und rollt die Schultern zurück. Schon in der ersten Fahrstunde hat er erklärt, man müsse in jedem neuen Setting achtsam ankommen. Gerader Rücken, geschlossene Augen, stetiges An- und Abschwellen seiner Kugel. Roman hält Abstand und betet, dass ihn niemand erkennt. Er sieht sich durch Nicoles Augen, passiert ihm manchmal. Sie fragt sich, wie er es fertig bringt nicht zu raffen, wie krass unangenehm das hier ist. Wieso er nicht aufs Klo geht oder Kaugummis kauft, irgendeinen Vorwand schafft, um Sven nicht bei seinem spirituellen Zeug zuschauen zu müssen. Über den Weg zwischen Parkplatz und Bänken kommt eine Frau in ihre Richtung. Zügiger Schritt, Jeans und Bluse, Brillenträgerin, Respektperson. Ärztin, Chefin, sowas. Sie schaut zwischen Sven und ihm hin und her, er nickt, da ist sie schon vorbei. Sven hat sich nicht gerührt. Der weiß wirklich, wie man keinen Fick gibt.
„Du musst lernen, niemand zu sein.“ Dass Sven beim Reden die Augen geschlossen hält, ist neu.
„Wenn du wirklich frei sein willst, musst du lernen, niemand zu sein.“