#Roman

Die Enkelin

Lisa Mundt

// Rezension von Jakob Kraner

Lisa Mundts zweiter Roman Die Enkelin erzählt von der Erbfolge der Gewalt. Das Setting ist dabei ungewöhnlich: Es ist eine junge Frau, auf die sich die Täterinnenrolle überträgt. Ein Buch viel drastischer als die Blumen am Cover vermuten lassen.

„Heat“ – man denke an den gleichnamigen Blockbuster von 1995 – ist ein Slang-Ausdruck, der sich auf Deutsch am ehesten mit dem sperrigen Terminus „Fahndungsdruck“ übersetzen ließe. Hitze ist auch in Lisa Mundts Roman eines der zentralsten Bilder und die Ich-Erzählerin spielt dabei beide Rollen: Sie ist zugleich Delinquentin und Ermittlerin, die sich selbst auf die Schliche kommen will. Getrieben und überwältigt wird sie dabei von einer unerklärlichen Hitze, die in ihrem Inneren aufsteigt, sich mitunter zum Feuer auswächst oder in subtiler Zwiesprache der Körper hin und her fließt, zwischen ihr – der Enkelin – und dem serbischstämmigen Großvater Lazar.

Ein mehrwöchiger Besuch bei dem dementen und gebrechlichen Mann bildet den Rahmen des Buches. Bis auf eine längere Passage in der Mitte wechselt die Erzählung dabei konsequent Absatz für Absatz hin und her zwischen Jetztzeit und Rückblenden ins bisherige Leben der Enkelin. Die Mutter ist vor nicht allzu langer Zeit verstorben, so erfahren wir auf der zweiten Seite, und auch sie verbrachte zuletzt viel Zeit mit Lazar, zog zurück ins Dorf ihrer Kindheit und niemand wusste so recht warum. Auch jetzt fragt die Schwester verständnislos am Telefon, was die Erzählerin denn da zu suchen habe, beim alten Mann, beim „Arschloch“, wie sie den Großvater nach der Beerdigung der Mutter nennt.

Langsam legt der Roman seine Fäden aus, an denen er die Leser:innen stetig und bestimmt in sich hineinzieht. „Ich hatte etwas getan, das nicht wiedergutzumachen war“, so die Ich-Erzählerin auf Seite 22. Immer plastischer wird das Bild einer Frau, die – so ahnt man – einem innerem Abgrund auf die Spur zu kommen versucht und deshalb den Großvater aufsucht, so wie einst ihre Mutter. Die geballten Fäuste des Großvaters, seine drohenden Gesten und Worte im Alltag zwischen Garten, Fernseher und Pflegerinnenwechsel sind kleine Ausbrüche, Überbleibsel einer erahnten Bösartigkeit, die mit dem versagenden Körper langsam zerfällt. Der Gewaltausbruch der Enkelin selbst ist so unerwartet wie schlüssig und ein Höhepunkt des Buches. Man ist an gewisse ikonische Bilder der Anti-Heimatliteratur erinnert, wenn es wieder einmal die Frau ist, die das Schlachtfeld nach der Attacke sauber zu machen hat. Nur ist es diesmal die Frau selbst, die gewütet hat und sich nun Sorgen macht, ob das wertvolle Holz der Kommode, gegen die der Kopf des Opfers gedonnert ist, auch das aggressive Putzmittel verträgt.

Die Hitze kann bei flüchtiger Lektüre schlicht als naheliegendes Bild für die aufwallende Gewaltbereitschaft gelesen werden, doch sie ist mehr als blinder Zorn. Unser Gesicht wird rot und der Schweiß steht auf der Stirn, wenn wir uns peinlich berührt fühlen. Scham ist auch in der Welt der Erzählerin stets präsent. Und eine Ausweglosigkeit, ein wiederkehrendes Gefühl des In-die-Enge-getrieben-Seins. All das klingt durch, ohne etwas zu erklären – weder die Entstehung dieser familiären Seelenkrankheit noch die Möglichkeiten ihrer Heilung – und schafft so den Raum, die beteiligten psychischen Kräfte geradezu nackt zu schildern, mit teils physischer Wucht.

Überhaupt ist das ganze Buch eine Palette der Somatisierungen. Unerklärliche Schmerzen verfolgen die Enkelin. Immer wieder wendet ihr Körper sich gegen sie und scheint ihr nicht mehr zu gehorchen. Die Bedrängnis, die sie erlebt, greift über auf die Erzählsprache. In den Metaphern wird die Realität zudringlich, die Umwelt kommt zu nahe, Dinge werden auf unheimliche Weise durchlässig, Gerüche spielen eine dominante Rolle.

Nimmt der innere Druck der Erzählerin ab und wird erträglicher, so kühlt auch die Sprache herunter, wird lakonischer, begibt sich an die Oberfläche der Dinge und zeichnet detaillierte Szenenbilder. Es entsteht – gewissermaßen als Nebenprodukt dieses filmischen Stils – mitunter sprachlicher Überschuss, ein Über-Beschreiben, das zumindest der Rezensent sich bisweilen schlanker gewünscht hätte. Ein Eindruck, der sich aber bald im Sog der Geschichte verflüchtigt und im lebendigen Portrait einer Familie, die von Seite zu Seite plastischer wird.

Klaus, der Partner der Erzählerin, ist zwar zentrales Objekt für das Handeln der Enkelin, bleibt jedoch selbst ein wenig pappfigurenhaft, wie ein Statist. Das wirkt sich auf eine Passage im ersten Drittel des Buches aus, doch dafür entschädigen sämtliche anderen Teile des Romans. „Klaus fand die richtigen Worte, nämlich kein einziges“ sagt die Enkelin, nachdem sie zusammengebrochen ist und sich ihrem Freund erstmals anvertraut hat. So wie Klaus verzichtet auch die Erzählung auf Rationalisierung. Indem von einer bedrohlichen Dunkelheit erzählt wird, einer unheil- und geheimnisvollen Gemengelage, die man aufgeklärt und gelüftet sehen möchte, wird Spannung erzeugt.
Das Geheimnis wird aber letztlich nicht aufgedeckt und gerade dadurch enthüllt der Roman die tiefer liegende Wahrheit seines Gegenstandes: Dass an Gewalt eben jeder Erklärungsversuch abprallt. Dass sie eine Erfahrung der Körper ist, ein körperlicher und gesellschaftlicher Bruch, der sich rational nicht fassen lässt. Dass Gewalt also jener Sphäre angehört, die hinter den beiden Grenzen des Alltäglichen anfängt – der dunklen wie der hellen, jener zum Grauen und jener zur Ekstase – und die genau jene Sphäre ist, die die Literatur ergründen soll.

 

Jakob Kraner, geboren 1986, aufgewachsen im Waldviertel, lebt seit 2005 in Wien. Er studierte Philosophie und Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Er schreibt Prosa(miniaturen), Essays und Kosmologien, macht Lesungen, Literaturperformances, Musik und Videos. Zum Beispiel: Theaterstück Jolt für das Nachwuchsprojekt des Garage-X-Theaters (2012), Spontaneitätsmaschinen-Literaturperformance für das Viertelfestival Niederösterreich (2014), FLÄCHE – literarische Live-Doku mit Matthias Vieider, uraufgeführt im Literaturhaus Wien (2016). Er veröffentlicht in Zeitschriften und Anthologien (zuletzt: Lyrik von Jetzt #3, Triëdere, Fabrikzeitung Zürich). Arbeits- und Reisestipendien. Seit 2012 Mitorganisator der Schreibwerkstatt Waldviertel. 2022 erschien sein Buchdebüt Kosmologie in der Reihe „Rohstoff“ bei Matthes & Seitz.

Lisa Mundt Die Enkelin
Roman.
Wien: Milena Verlag 2023.
230 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband.
ISBN 978-3-903460-15-7.

Verlagsseite mit Informationen zu Autorin und Buch sowie einer Leseprobe

Rezension vom 12.12.2023

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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