Bald bekommt es die Gang mit einem Geheimnis zu tun: Die Eltern verhalten sich komisch. Sie tuscheln, sie verheimlichen etwas, verstecken einen Brief. Was geht vor sich und wieso werden die Kids nicht mit einbezogen? Die Beziehung der Teenager zu ihren Eltern und der Welt der Erwachsenen zieht sich als Motiv durch die Erzählung. Mit nahezu detektivischer Deduktion versuchen die Kinder, den Dingen auf den Grund gehen. Das gelingt ihnen mal besser, mal schlechter. Und bald nimmt ein Thema Form an: Kommunikation.
In der Schule macht ihnen die rassistische und sexistische Diskriminierung durch einen Lehrer das Leben nicht leichter. Allzu oft fragen sich die Kids, ob sie etwas dagegen tun sollen oder können. Also beschließen sie, vor dem Sommer einen anonymen Brief an die Direktorin zu verfassen. Das Thema der Kommunikation wird um das Zur-Wehr-Setzen bei Rassismus-Erfahrung erweitert. Das lässt bereits die Content-Note zu Beginn erahnen: „Rassismus, genderspezifische Gewalt, Queerfeindlichkeit, Flucht“. Schließlich bedroht auch die Bürokratie die Welt der Kids. Denn die Gesellschaft, die hier leichtfüßig porträtiert wird, kennt eine Höchststrafe für die „falsche“ Herkunft und das ist Abschiebung. Der Name des für den Asylantrag zuständigen Beamten Klusacek veranschaulicht die Absurdität und Willkür, mit der in Österreich über nationale Zugehörigkeit und Identität entschieden wird.
Im Fußballkäfig stoßen sie auf eine weitere Gang und es kommt fast zu Handgreiflichkeiten. Die Konfrontation verdeutlicht: Die Gemeindebau-Kids sind füreinander da. Sie teilen sich eine Lebensrealität, in der verschiedene Gebräuche aufeinanderstoßen. Der junge István exerziert sie in einer Szene durch: Hallo, Salam aleikum, Shalom, zwei Bussis, drei Bussis, links, rechts, links oder war es umgekehrt? In einem berührenden Herzstück des Romans kommen alle Eltern und Kids zusammen, um – unabhängig vom jeweiligen religiösen Hintergrund – gemeinsam das Ende des Fastenmonats Ramadan zu zelebrieren. Detailliert beschreibt Mohamed die liebenswert-schrulligen Eigenheiten der Teilnehmer:innen. Eine Schlüsselszene, von der sich Hollywood im Porträtieren traditioneller Zusammenkünfte ein Scheibchen abschneiden könnte. Wer bei der Lektüre lacht (und das ist unumgänglich), wird von der Menschenfreundlichkeit der Autorin berührt. Nicht zuletzt, wenn die Kids ihre sexuelle Orientierung verhandeln. Mit seiner queeren Offenheit ist komm runter! am Puls der Zeit. Denn es geht um nicht weniger als den inklusiven Platz in der Welt.
Inklusiv-solidarisch ist komm runter! nicht nur auf thematischer Ebene. Ein Wörterverzeichnis im Anhang führt arabische, bosnisch/kroatisch/serbische, türkische, ungarische, wienerische und andere Begriffe an, die Leser:innen fremd sein könnten. Dazu kommen noch ergänzende Fußnoten. Das Glossar ist umfassend, informativ und persönlich. Daher sei es auch verziehen, dass sich darin eine sehr weit verbreitete Fehlübersetzung des wienerischen Wortes „Beidl“ („Da hauts dan Beidl auf’d Seitn!“) wiederfindet. Dieses bezeichnet nämlich nicht den Beutel, sondern das hobelartige Tischlerwerkzeug „Beitel“, womit folglich nicht der Hodensack, sondern der Penis (ev. pars pro toto) gemeint ist. Aber wer dieses i-Tüppfelchen reitet, mag im Glossar weiterblättern und bei „Ćuti“ (BKS) beziehungsweise „Eskoti, Eskot“ (Arabisch) für „Halt den Mund“ verweilen oder sich zwei Seiten weiter das Akronym „hdf“ zu Herzen nehmen.
Mal schimpfen die Teenies einander spaßhaft „Kanaken“, dann „Almans“ oder „Švabos“. Dabei wird bald deutlich: Die Grenzen sind fließend. Neben „kurac“ steht „Blunzn“, neben dem „Hallodri“ ein „Snitch“. Der im Alltag gesprochene Slang wandert dabei von den Figuren in die Erzählstimme. Zu lesen ist eine verspielte Melange. Der Stil bleibt jedoch klar, nahe an der gesprochenen Sprache, niederschwellig und schnörkelfrei. Dass das Spiel mit den Begriffen eine zentrale Rolle einnimmt, verdeutlicht eine unterhaltsame Stelle, die sich dem adoleszenten Jonglieren mit Synonymen zur Menstruation widmet: „eine Tagung abhalten“, „die days“, „Menses in der Mensa“, „den Maler im Keller haben“, „Erdbeeren pflücken“, „Rotweinflasche entkorken“, „während sie am Baumwollkamel reitet“. Das geschieht mit einer Leichtigkeit, wie sie nur aus dem frechen Blick von Figuren im Limbo zwischen Kindheit und Erwachsensein formuliert werden kann.
Mohamed arbeitet gekonnt mit den drei Spannungselementen Mystery (Verhalten der Eltern), Suspense (Brief) und Surprise (Konfrontation auf dem Fußballplatz). Die Romanthemen finden sich in allen dreien wieder, während die Autorin adoleszente Gruppen und ihre Dynamiken in gewitzter Manier porträtiert. Der Roman verdeutlicht, dass Coming-of-Age mehr bedeutet als eine Neuorientierung in einem sich verändernden Körper. Es ist eine Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten. In komm runter! gewinnt am Ende die Solidarität.
David Hoffmann (aka dada hoffi), geboren 1985, wuchs in Österreich und Ungarn auf. Master der Philosophie an der Universität Wien, Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaften. Lebt als Schriftsteller, Sachbuch-Lektor und Performer in Wien. Produktion eigener Hörspiele. 2022 exil-lyrikpreis. Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung (GAV). Texter und Falsettsänger der Literaturpunkband Smashed To Pieces. Seit 2014 Veröffentlichungen in Magazinen und Anthologien (zuletzt Militär, ich wollte ja nie. Ein unvollständiger Bericht in: Literatur und Kritik meaoiswiamia Österreich, Otto Müller Verlag, Salzburg). Übersetzungen aus dem Ungarischen. Gedichtband ist in Arbeit.