#Prosa

Handbuch gegen den Krieg & Handbuch für die Liebe

Marlene Streeruwitz

// Rezension von Kirstin Breitenfellner

Was bedeutet Krieg? Und was die Liebe?

Marlene Streeruwitz gehört zu den wenigen heimischen Autorinnen und Autoren, die es noch wagen, sich in strittigen Fragen des Diskurses einzumischen.

So auch zum Überfall Russlands auf die Ukraine und dem daraus resultierenden Krieg seit Februar 2022. In den westeuropäischen Öffentlichkeiten war erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs wieder Begeisterung für den „gerechten Krieg“ zu hören gewesen, und jenen, die für Friedensverhandlungen plädierten, wurde schnell unterstellt, für die Kapitulation der Ukraine einzutreten.

Bereits im Mai 2022 legte Streeruwitz im kleinen, widerständigen Wiener Verlag bahoe books ein Handbuch gegen den Krieg vor. Krieg ist hässlich. Das Buch kam in weißem Leineneinband daher, der Farbe des Friedens. Zwei Jahre später wurde es vom Verlag S. Fischer wieder aufgelegt und um ein zweites Buch, sozusagen seinen Gegenpol ergänzt: Handbuch für die Liebe. Das Design der Umschläge erstaunt, denn Blau und Grün, die Farben der Hoffnung, sind hier dem Krieg zugeordnet. Und Rot, die Farbe des Blutes, der Liebe.

Die Machart der beiden Bände ist gleich: Eine fett gesetzte Sentenz am Anfang der meinst einseitigen, ausnahmsweise auch bis zu fünfseitigen Texte gibt das Thema vor, der Rest ist Ausführung des Gemeinten. Selten wird die Autorin dabei konkret, immer haben ihre gewohnt stakkatohaften Sätze Anklage- oder Appellcharakter.

Anklage des Krieges

„Krieg. Und. Alles ist falsch.“ So hebt die erste Seite an. Und definiert anschließend: „Krieg ist gemacht. Krieg ist kein Naturereignis. Krieg ist eine sorgfältig konstruierte Maschine der Gewalt.“ Der Krieg in der Ukraine betreffe Europa unmittelbar. „Deshalb bekommen wir die Bilder jeden Tag vorgesetzt“, folgert Streeruwitz. Krieg negiere Menschenrechte, lösche sogar die Lebensberechtigung und liefere Individuen dem Kollektiv und dem Zufall aus.
„Krieg ist das Gegenteil von Zivilisation“, lautet die nächste Überschrift. „Krieg ist das Gegenteil von Ethos.“ „Krieg ist das Gegenteil des Demokratischen.“ Bereits auf Seite 13 drängt sich der Frieden hinein. „Von Frieden wissen wir nichts. Von Frieden erfahren wir nicht. Frieden lernen wir nicht“, beklagt die Autorin, um sich gleich wieder ihrem Gegner zu widmen: dem Krieg.

Für Streeruwitz hängt dieser nicht nur eng mit dem Patriarchat, sondern auch mit dem Nationalismus bzw. Rassismus und dem Kapitalismus zusammen. „Krieg ist Ausbeutung.“ Ihr wird ab Seite 23 der „Kosmos der Pflege“ gegenübergestellt, der sich bei Streeruwitz eher auf das Aufziehen von Kindern als die Betreuung von Betagten zu beziehen scheint und für unbezahlte oder schlecht entlohnte und unbedankte Carearbeit steht.
„Muss noch weiter geschossen werden, bevor die Verhandlungen aufgenommen werden?“ Mit Verve und Furor schreibt Streeruwitz gegen die „Logik“ des Krieges an, der für sie eine Umkehrung der Schöpfungsgeschichte darstellt. Sein auktoriales Sprechen mündet in einer Geschichtsschreibung, die Streeruwitz abfällig „Drecksarbeit des Patriarchats in Archivierung der Gewalttätigkeit“ nennt.

Den Diskursteilnehmern aus sicherer Distanz richtet sie aus: „Sich vom sicheren Ort des Homeoffice an Kriegstreiberei zu beteiligen bedeutet, sich in die Reihen der pseudoempathischen Populisten einzuordnen.“
Stattdessen fordert Streeruwitz, eine „Sprache des Leids“ zu entwickeln, die sie im öffentlichen Diskurs zensuriert sieht. „Leid, Liebe und Trauer sind unsprechbare Motive in unseren Kulturen geblieben.“ Vor allem Kunst und Kultur sieht Streeruwitz in der Schuld, „sich von den bisherigen Formen des Sprechens abzuwenden und den Weg zum Sprechen von Friedlichkeit zu betreten“. Wer würde dem widersprechen wollen?

Mit dem zweiten Band, Handbuch für die Liebe, scheint Streeruwitz diesen Anspruch – die „vorsichtige Suche nach einer Kultur, die sich vor Frieden nicht scheut“ und die „Kinderwelt in den Mittelpunkt des Gesellschaftlichen“ stellt – auch selbst einlösen zu wollen. Frieden, definierte sie im Handbuch gegen den Krieg, beruhe auf Gleichberechtigung und rechtlicher Sicherung, die nur in einer Demokratie zu haben sei, die für Streeruwitz die „Aufgabe des allwissend auktorialen Entwurfs“ bedeutet. „Krieg ist ein Roman, in dem der Erzähler alle anderen zu vernachlässigbaren Nebenfiguren erklärt“, versucht Streeruwitz ihr Thema am Ende des erstens Bands ins Literarische zu wenden. Gelingt es ihr also im zweiten Band, einen „Roman“ über die Liebe zu schreiben? Leider kaum.

Appell für die Liebe

Lieben definiert Streeruwitz (in eigenwilliger Orthographie) als „LebenWollenMachen“. Behandelt wird dieses Gefühl allerdings nicht in der komplexen, oft widersprüchlichen Existenzform zwischen Erwachsenen, sondern in Bezug auf das Neugeborene: als bedingungslose Liebe. Damit macht es sich die Autorin leicht. Denn ihre Konzentration auf die Liebe zum Säugling und Kleinkind, die realiter mitnichten so bedingungslos daherkommt wie in Streeruwitz’ Annahme, verunmöglicht es, ihre Erkenntnisse auf die Politik zu übertragen.

Zugeordnet wird das Lieben als „LebenWollenMachen“ dem „Kosmos der Pflege“. Vom „Kosmos des Krieges“ unterscheidet die Liebe sich darin, dass es immer um die „je eine geliebte Person“ geht, „das Gegenteil aller Massenvorstellungen“. Krieg zerstört Liebe: „Es ist dieses Besondere, das die Machthabenden des Kosmos des Öffentlichen sich nehmen, wenn sie Personen misshandeln und in den Krieg schicken.“

Lieben firmiert, obwohl als bedingungslos verstanden, bei Streeruwitz allerdings nicht ohne Voraussetzung, sondern beruht auf der frühkindlichen Erfahrung des „GeliebtWerdens“. Wenn Streeruwitz nun ein „Grundrecht auf solches Lieben und GeliebtWerden“ proklamiert, für das, wie es pauschal heißt, „Möglichkeiten geschaffen sein und werden“ müssen, würde man schon gerne wissen, wie dieses tatsächlich Wünschbare umzusetzen wäre – etwa bei misshandelten Kindern oder Waisen, die der Krieg ja zuhauf „produziert“. Denn Manifeste machen nur Sinn, wenn ihre Forderungen auch erfüllbar sind. Auf Gefühle – wie Liebe, Achtung, Wertschätzung – können aber weder ein Staat noch eine imaginierte gesamtgesellschaftliche Übereinkunft ein Recht garantieren. Und Hass, Neid und Gewalt sowie psychische Krankheiten, die liebesunfähig machen, begleiten die Menschheit von Beginn an, sie einfach wegzuwünschen bzw. wegzufordern stellt keinen Debattenbeitrag, sondern eher einen Ausbruch von „heiligem Zorn“ dar. Als solcher hat das Handbuch für die Liebe auch seine Berechtigung.

Leider liefert die Autorin auch in der zweiten Hälfte des Buches keine genauere, praxisbezogene Definition von Liebe oder einer Anleitung zum Lieben, sondern sucht nach jenen, die Liebe verhindern. „Liebe. Lieben. Was das ist, das wird uns nicht wissen gelassen“, lautet eine Überschrift. Als Täter firmieren dabei das Patriarchat und die katholische Kirche, wobei die Autorin deren massiven Machtverlust in Bezug auf die Gefühlswelt der Menschen in den letzten Jahrzehnten offenbar nicht in ihre Betrachtungen einzubeziehen gewillt ist.
Sätze wie „Das Katholische hat körperliche Leidenschaft zur Sünde gemacht und die Liebe in Gläubigkeit verwandelt“ bringen als Debattenbetrag in Zeiten von queeren Eurovisions-Songcontest-Gewinnern und der öffentlichen Feier der höchst individuellen Lust und Sexualität kaum weiter. Und dass „Kinder der Liebe“, also uneheliche, von rechtlichen Ansprüchen ausgeschlossen waren, ist nun über ein halbes Jahrhundert her.

Manifest oder Roman?

Zum Schluss verliert sich die Autorin in Pauschalanklagen ohne Adressaten – etwa dass ein „Zusammenschluss der Personen im Kosmos der Pflege“ verhindert werde oder dass „Wissenschaft, Wirtschaft oder Politik“ Personen um ihr „Grundrecht auf Lieben“ bringen würden. Und sie versteigt sich zu pathetischen Aussagen wie der folgenden: „Wir sind alle Überlebende in dem immerwährenden Krieg, den der Kosmos des Öffentlichen gegen das Lieben und damit gegen das Leben führt.“ Oder krausen Thesen wie der, dass die Geschwisterkonkurrenz das „wichtigste Instrument des Patriarchalen“ sei. Aber abstrakte Institutionen wie „das Patriarchat“ und „den Kapitalismus“ inklusive „Primat der Bilder“ nach der digitalen Revolution anzugreifen, hilft nicht weiter, ganz abgesehen von der Frage, ob Rivalitäten und Kriege nicht älter sind als alle Institutionen und zur Grundausstattung des Menschseins gehören.

So wie es leichter ist, über Unglück zu schreiben als über Glück, scheint es auch einfacher zu sein, gegen jene zu schreiben, die Liebe verhindern, als sich diesem komplexen Phänomen mit seinen Höhen und Untiefen sowie seiner Ambivalenz zu stellen – inklusive Projektion, Instrumentalisierung, Sadismus, Masochismus, symbiotischer Selbstaufgabe, Narzissmus etc.

„Vielleicht ist es besser, das Lieben bleibt das Lieben selbst und kann nicht gesprochen werden. Die Sprachen im Kosmos des Öffentlichen reichen ja ohnehin nicht aus“, schreibt Streeruwitz gegen Ende des Buchs. Dafür eignet sich vielleicht ein Manifest gar nicht, möchte man der Autorin zurufen, dafür gibt es ja Literatur! Streeruwitz hat selbst mit ihrem letzten Roman Tage im Mai (2023) über die ambivalente Beziehung einer Mutter zu ihrer erwachsenen Tochter den Beweis vorgelegt, dass es möglich ist, über die Liebe, so, wie sie wirklich ist, ohne Beschönigung und ohne Trennung in „Gut“ und „Böse“ zu schreiben. Und sie dabei trotzdem als Gegenpol zu Krieg und Gewalt darzustellen.

Homepage von Kirstin Breitenfellner

Marlene Streeruwitz Handbuch gegen den Krieg
Frankfurt am Main: S. Fischer, 2024.
80 Seiten, Hardcover.
ISBN: 978-3-596-71067-6.
Verlagsseite mit Informationen zum Buch und einer Leseprobe

Marlene Streeruwitz Handbuch für die Liebe
Frankfurt am Main: S. Fischer, 2024.
92 Seiten, Hardcover.
ISBN: 978-3-596-71066-9.
Verlagsseite mit Informationen zum Buch und einer Leseprobe

Homepage von Marlene Streeruwitz

Rezension vom 05.06.2024

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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