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Bibiana Amon

Walter Schübler

// Rezension von Alexander Kluy

Ein Gespenst. Ein Geist der Wiener Literatur- und Kulturgeschichte. Auf französisch: „le mystère Amon“. Gemeint ist Bibiana Amon. Über diese schreibt der Literaturwissenschaftler und Editionsphilologe Walter Schübler als Auftakt seiner verdienstvollen „Spurensuche“: „Liliana Amon? – Wenn überhaupt, ist sie unter ihrem Spitznamen Bibiana noch als Trabant Wiener Literatenzirkel kurz vor und nach dem Ersten Weltkrieg geläufig.“ Die einleitende Wendung „wenn überhaupt“ ist dabei zu betonen, dürfte sie doch selbst germanistischen Hochschulzirkeln kaum geläufig sein.

„Die Dokumente zu Bibiana Amons ersten zwei und letzten vier Lebensjahrzehnten“, schreibt Schübler, „sind spärlich – und karg.“ Und: „Nur aus den späten 1910er-, frühen 1920er-Jahren sind zwei Dutzend Briefe von ihr überliefert. Insgesamt eine Handvoll verstreuter Splitter, mehr nicht.“

Sie wurde 1892 in Linz geboren. Sie starb 1966 in Paris. Außerehelich geboren als Tochter von Zäzilie Brandstetter, 24 Jahre alt, und des 49-jährigen verwitweten, aus Klagenfurt stammenden Schneiders Josef Amon. Fünf Jahre später starb der Vater. 1906, mit 14 Jahren, schloss sie die „Drei-classige Privat-Volksschule für Knaben und Mädchen“ in Linz ab. Penibel, wo und wenn möglich, präsentiert Schübler Noten und Wohnadressen. Danach: mutmaßliche Tätigkeiten als Kinder- und als Lehrmädchen. Anschließend Wien.

Dort war sie neben anderem Modell. Und Vorbild für die eher robust auftretende, maliziös gezeichnete Angelika („Sie war bildhübsch, aber ihr Reiz zeigte tatsächlich das flache Blond und die Geziertheit eines Dienstmädchens, das einen ewigen Sonntag feiert.“) in Franz Werfels Roman Barbara oder Die Frömmigkeit (1929) wie auch für Bibi in Karl Tschuppiks Ein Sohn aus gutem Hause (1937), seinem stark lebensbiografisch eingefärbten Roman, der zuletzt 2015 neu aufgelegt wurde. Sie war aber auch selbst Autorin, im Frühjahr 1939 erschien im Pariser Verlagshaus Denoël ein Roman von ihr, Barrières.

Der Journalist und Kultur-Diplomat Milan Dubrovic schilderte sie Jahrzehnte später mit sachter Ironie: „Sie nahm Bildung und Wissen gierig in sich auf, verschlang alle Bücher, die man ihr empfahl, und aus dieser Halbbildung, die gewürzt war mit Unbefangenheit und Charme, produzierte sie gelegentlich kühne, provozierende Sprüche, die durch ihre Verrücktheit beeindruckten. Man war verleitet, diese aphoristischen Gebilde als geniale Erleuchtung aufzufassen.“

Schübler, der in seinen biografischen Büchern immer wieder andere Vorgehensweisen praktizierte – über Nestroy schrieb er in „Short-cuts“, in 30 Szenen, über Johann Heinrich Merck in Capricci –, der 2016 nach zehn Jahren Arbeit eine siebenbändige, 4.235 Seiten umfassende kritische Werkausgabe Anton Kuhs edierte und zwei Jahre später seine umfassende Kuh-Biografie publizierte, setzt längere bis lange Auszüge aus Barrières, von ihm ins Deutsche rückübersetzt, da das Originalmanuskript verschollen ist, kontrastiv den dürren Fakten gegenüber. Klug wie schön ist beides typografisch voneinander abgesetzt.

Amons Roman-à-clef ist instruktiv und von eigenen Erlebnissen und Erfahrungen der Autorin angereichert, ja mehr als mutmaßlich gesättigt. In Barrières wird der Weg von Anna nachgezeichnet, aus Linz aus dem winzigen Haushalt einer herzlosen, brutalen Mutter, die einen kleinen Kurzwarenladen hat, nach Wien, wohin es die reizend anzusehende Teenagerin als Lehrmädchen verschlägt. Wo sie verführt wird. Erst in einem privaten Luxusbordell landet. Hinausfliegt. Bei einer Schneiderin unterschlüpft. Schließlich kommt es in diesem Schlüsselroman zur Begegnung mit einem jungen Maler. „Im Schanigarten eines bekannten Künstlercafés in der Nähe der Secession traf sie Egon Sch… Er war zwanzig Jahre, hatte schwarzgelocktes Haar, die feurigen Augen eines Fanatikers, ein bubenhaftes dreieckiges Gesicht und sehr schlechte Zähne. Er führte sie zu seinem Atelier in der Alser Straße, öffnete die Tür und sagte: ‚Erschrecken Sie nicht, liebes Kind.‘“ Anna erschrickt dennoch. Überall hängen erdfarbene, krass unschickliche Aktbilder. Sie wird schwanger, nicht von Schiele. Nach der Geburt verschwindet er aus ihrem Leben.

Im realen Leben war Amon 1911 als Vortragende bei einem „österreichischen Autorenabend“ des Schriftstellervereins „Die Scholle“ in den Beethoven-Sälen aufgelistet. Schübler konnte für die folgenden Jahre diverse Berufsangaben ermitteln: Malerin, Sängerin, Handelsschülerin, Sekretärin. Eine Venedig-Reise mit dem befreundeten Peter Altenberg wurde mancherorts kolportiert, einschließlich ihrer derben, kleinbürgerlich anti-intellektuellen Redeweise.

Ein Mosaik ist dies Buch. Zusammengesetzt aus vielen Zitaten, Zitatblöcken, Romanpassagen. Es lässt sich so etwas wie eine enge, ja intime Beziehung zu Anton Kuh inklusive eingeleiteter und abgebrochener Verlobung herausbuchstabieren. Waren sie sich wieder gut, stellte Kuh eine Liste mit „Zehn Bibiana-Verboten“ auf. Bibiana ihrerseits schickte ihm Billets, wie so häufig orthografisch mit Fehlern gespickt, dafür von Zuneigung getränkt, die sie mit „Dein Schicksalerl“ signierte. Sie führte ein Kaffeehausleben, vor allem im Café Herrenhof. Bohème, Kokain, Geldmangel, all das konnte Schübler eruieren.

Dann erfolgte eine Übersiedlung nach Berlin, und dort kleinere bis kleine Theaterrollen. Ende 1923 wollte sie wieder zurück nach Wien. Und blieb doch. Sie heiratete in Berlin einen Schauspieler. Vier Jahre später: eine zweite Heirat mit einem Textilingenieur. Wohnort war Berlin-Charlottenburg. Für ihre letzten knapp 40 Lebensjahre ist kaum etwas dokumentiert. 1936 Paris: Amon suchte als Flüchtling um eine Aufenthaltsgenehmigung in Frankreich nach. Mai 1939: Barrières erscheint, Schübler zeichnet das publizistische Echo nach. 1. Februar 1966. Bibiana Amon stirbt in Paris. Sie hinterließ eine kleine Eigentumswohnung am Boulevard de La Tour-Maubourg im 7. Pariser Arrondissement.

All dies ist mit Akribie minuziös nachgezeichnet. Schübler endet mit einem launig angehauchten Werkstattbericht: wie serpentinenartig umständlich bis verworren sich über fünfzehn Jahre hinweg die Recherche nach Adressen, Namen, Unterlagen, Briefen europaweit gestaltete.

Ein Buch über eine Frau, die mehr war als ein Spiegel männlicher Blicke und Gefühle. Ein etwas abseitig irisierender, jedoch lohnender und instruktiver Lichtstrahl auf die noch immer geschlechterungleich ausgeleuchtete Literaturgeschichte Wiens und Österreichs im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts.

Walter Schübler Bibiana Amon
Eine Spurensuche.
Wien: Edition Atelier, 2022.
184 S.; geb.; m. Abb.
ISBN 978-3-99065-069-1.

Rezension vom 09.05.2022

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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