Dem Buch ist die Begeisterung des Autors für das Thema anzumerken, was schön ist, kommt jedoch in einer schnoddrigen, saloppen Sprache (und leider auch der neuen Rechtschreibung) daher, die etwas zu gewollt jugendlich erscheint und mitunter eine Behauptung des Autors Lügen zu strafen scheint: Lesen helfe, Sprache zu finden und für Sprache sensibel zu werden. Ich reagiere sensibel, wenn Fremde mich mit Du ansprechen, reagiere sensibel auch auf einen Autor, der mich, die Leserin, mit „liebes Du“ anspricht, obwohl er zugibt, nicht zu wissen, „wer jetzt grad seine Nase zwischen diese Seiten steckt …“ (S. 8) – auch dies, lieber Autor, zählt nicht zu meinen (Lese)gewohnheiten.
Vom Abenteuer des Lesens ist ein populärwissenschaftliches, leicht lesbares Buch über viele Facetten des Lesens geworden, das, ausgehend von einer kritischen Auseinandersetzung mit Phrasen wie jener vom Ende der Lesekultur, der „Verblödung“ durch Massenmedien oder der Oberflächlichkeit der heutigen Jugend versucht, dem Sinn des Lesens nachzugehen und ihm inmitten der elektronischen Medien einen gewichtigen Platz zu schaffen.
Falschlehner ist bemüht, die neueren und neuen Medien nicht zu denunzieren, setzt ihnen aber das Lesen als wichtiges Korrektiv entgegen, das eine sinnvolle Nutzung der übrigen Medien erst ermögliche. In Untersuchungen über neurophysiologische und psychologische Leistungen des Gehirns beim Lesen oder Bilder-Schauen sieht der Autor diese Hierarchie bestätigt: „Während wir Bilder auch gleich bildhaft speichern, müssen wir bei Texten den Zusatzmotor Phantasie zuschalten, um aus abstrakten Sprachcodes Bilder zu entwickeln. […] Lesen ist – auch aus gehirnphysiologischer Sicht – komplexer und anspruchsvoller als
Bilder-Schauen.“ (S. 62) Da der Zeitfaktor eine wesentliche Rolle bei der Wahrnehmung spielt und gerade die elektronischen Medien häufig mit dem Wegfall der zur bewußten Wahrnehmung notwendigen Halbsekunde operieren, führe dies zu einem bloßen Schauen ohne Wahrnehmungsdenken. Und Falschlehner weiter: „Das Nachdenken über das Bild ist wahrnehmungspsychologisch nicht erforderlich, es reichen vorbewusste Reaktionen […]“ (S. 120f.). Lesen hingegen sei ein aktiver und aktivierender Wahrnehmungsvorgang, ist „Widerstand gegen Passivität“, da der Lesevorgang „zwingend und unverzichtbar einerseits das logische Denken über Begriffe und Inhalte und andererseits das Konstruieren bildhafter Vorstellungen“ erfordere (S. 121).
Man fragt sich, was Medien- oder Wahrnehmungestheoretiker aus dem Umfeld der neuen Medien dazu zu sagen hätten. Denn mit diesen Beweisketten greift der Autor etwas zu kurz und denunziert letztlich doch die elektronischen Medien: „Die Gefahr der Medien liegt – so banal es klingen mag – im Tempo.“ (S. 120)
Lesen setzt die Schrift voraus, aber auch Schrift ist ja ein Medium der Überwindung von Raum und Zeit, wenn auch eines, an das wir schon so lange gewöhnt sind, so daß uns die hitzigen Debatten gegen das Lesen als drohender Kulturverfall aus den Zeiten nach der Erfindung des Buchdrucks und der beginnenden Massenverbreitung von Literatur wie aus einer anderen Welt erscheinen. Wenn Falschlehner nun meint, Lesen sei „die Basistechnik dafür, dass wir die neuen Medien aktiv nutzen und nicht ihren Imperativen und Manipulationsversuchen schutzlos ausgeliefert sind. Lesen steht nicht im Widerspruch zur Rezeption anderer Medien, sondern ist die Voraussetzung dafür!“ (S. 93), erinnert diese ausschließlich rückwärtsgewandte Haltung an eben jene längstvergangenen Versuche, dem unkontrollierbaren Lesen beizukommen. Man denkt auch an die Antwort der Kunst auf die radikale Veränderung vor allem der Raumerfahrung durch die neuen Technologien im 19. Jahrhundert (z. B. die Eisenbahn), die zu einer neuen Form des Sehens, der Wahrnehmung, zu einer Revolutionierung der Form- und Materialsprache (nicht nur) in der bildenen Kunst und der Literatur geführt haben. Für das 20. Jahrhundert sind mit der Telekommunikation die Veränderungen der Zeiterfahrung zum wichtigen Thema geworden, auf die Kunst wiederum reagiert, die Kunst verwendet und damit Mechanismen, Strukturen offenlegt. Und hier liegt die Vermutung nahe, daß ein veränderter, der Technologie entsprechender, bewußt-wahrnehmender Umgang mit diesen Medien ja auch mit den Mitteln dieser Medien möglich sein muß. Es wird wohl neben den Künstlern auch die Aufgabe von Kunstvermittlern und Medienwissenschaftlern sein, die neuen Wahrnehmungsanforderungen zu schulen und offen zu machen für Möglichkeiten, Gefahren, Brüche und Widersprüche. Falschlehner hingegen bemüht eine scheinbar qualitative Hierarchie, da er allen anderen Möglichkeiten des konstruktiven Umgangs mit der Veränderung von Wahrnehmung vermutlich mißtraut, und nimmt so im Grunde eine bewahrende, konservative Haltung ein, die ausschließlich im Überkommenen die Rettung sieht.
Und das ist schade, denn gerade Falschlehners Modell des „kreativen Lesens“ mit seinen zahlreichen Tips und Hinweisen für die Umsetzung im Leseunterricht (aber auch für all jene, die die Lebens-Notwendigkeit, die Lesen für sie hat, weitergeben möchten) zeigen einen vorurteilsfreien, begeisterten Pädagogen, der mit viel Lust der Frage nachgegangen ist, worum es beim Lesen geht, wie mit Texten umgegangen werden kann. Hier nun wird nicht hierarchisiert, sondern die verschiedenen Arten zu Lesen, die verschiedenen Zugänge zum Text stehen gleichwertig nebeneinander und der Autor stellt Überlegungen an, wie jede dieser Qualitäten zu nützen ist, um das Erlebnis Lesen noch zu steigern. Vor dem Heiligtum Buch wird nicht haltgemacht, sondern emotionell, spielerisch, intellektuell und mitunter anarchisch die Bandbreite der Kulturtechnik Lesen erkundet.
Als Plädoyer für den Ausbau und die verstärkte Vermittlung dieser alten Kulturtechnik gelesen, ein durchaus empfehlenswertes Buch.