#Sachbuch

Literatur in Österreich 1938-1945

Uwe Baur, Karin Gradwohl-Schlacher

// Rezension von Wolfgang Straub

Salzburg schafft es seit vielen Jahren nicht, eine zufriedenstellende Lösung im Umgang mit der NS-Vergangenheit des für das Selbstverständnis der Stadt zentralen Kulturbereichs zu finden: Als der langjährige Präsident der Salzburger Kultusgemeinde, Marko Feingold, 2019 verstarb, gab es die Initiative, die nach dem antisemitischen oberösterreichischen Mundartdichter Franz Stelzhamer benannte Straße in Marko-Feingold-Straße umzubenennen. Die Stelzhamerstraße, die sich in Nachbarschaft der Salzburger Synagoge befindet, blieb, nach Feingold wurde ein Salzachsteg ohne Postadresse benannt.

2021 präsentierte ein Historiker:innen-Fachbeirat einen 1100-seitigen Bericht über jene Straßen in der Stadt Salzburg, deren Namensgeber in die NS-Zeit verstrickt waren. Bei 13 wurde dies als „gravierend“ bewertet. Der Salzburger Gemeinderat lehnte im Dezember 2021 jegliche Umbenennungen ab und entschied sich für „Erläuterungstafeln“. So bleibt etwa die Josef-Thorak-Straße, benannt nach „Hitlers Lieblingsbildhauer“, der sich z.B. das Schloss der Hofmannsthal-Witwe in Zell am See unter den Nagel gerissen hat, bestehen. Allein im Umgang mit der Erinnerung an die einzige offizielle Bücherverbrennung in Österreich im April 1938 am Residenzplatz fand man Lösungen: 2011 wurde eine kleine Gedenktafel am Rande des Platzes angebracht, 2018 die Skulptur „Buchskelett“ am Platz installiert.

Für den Bereich der Literatur liegt nun als Band 6 der Reihe Literatur in Österreich 1938–1945 eine detaillierte Aufarbeitung der institutionellen und personellen Verstrickungen in das NS-System sowie der publizistischen Gegebenheiten im „Reichsgau“ vor. Man lernt aus der Publikation nun, dass Straßenumbenennungen in Salzburg früher sehr wohl möglich waren: 1972 benannte man im Salzburger Stadtteil Maxglan eine Straße nach dem kurz zuvor verstorbenen Mundartdichter Augustin Ableitner, der mit humoristischen Glossen bis in die 1950er Jahre hinein regionale Popularität erlangt hatte. Bereits während des Austrofaschismus hatte er seiner nationalsozialistischen Gesinnung in gereimter Form vielfach Ausdruck verliehen, nach 1938 war er in der Salzburger Kulturszene gut verankert und fiel durch „aggressiv-bösartige Formulierungen“ (S. 69), so Gradwohl-Schlacher, und der Forderung nach blutiger Rache an den ehemaligen Feinden aus der „Systemzeit“ auf. 1988 beschloss der Salzburger Gemeinderat, nach heftigen Diskussionen um die Ableitner-Straße, eine Umbenennung. (Man ging im katholischen Salzburg auf Nummer sicher und wählte diesmal den heiligen Vitalis als Namenspatron.)

Die Informationen zum organisatorischen Hergang der erwähnten Salzburger Bücherverbrennung im April 1938 sind naturgemäß genau gesammelt. Als gelernter Salzburger lernt man spätestens mit dieser Publikation, dass diese Bücherverbrennung nicht die einzige in Österreich war, wie man mitunter hört, sondern die größte und medienwirksamste. Den Forschungen Karl Müllers folgend werden acht weitere Orte mit Autodafés 1938 aufgezählt. Von Müller kennt man auch die NS-Karriere des Salzburger Vorzeige-Schriftstellers Karl Heinrich Waggerl. Bei Baur und Gradwohl-Schlacher kann man nun komprimiert nachvollziehen, wie nicht der logische Kandidat Waggerl der Landesleiter der Reichsschrifttumskammer (RSK) wurde, sondern der Buchhändler Franz Aschenbrenner – damit war Salzburg „der einzige Gau, in dem das Ehrenamt des Landesleiters der RSK ein Nicht-Schriftsteller innehatte“ (S. 17). Waggerl wurde „Landesobmann für Schriftsteller“ (S. 16), er hielt sich aber in administrativen Belangen zurück, sodass die Aktivitäten der RSK sich in Salzburg in engen Grenzen hielten. (Zugleich kann man dem Band natürlich auch entnehmen, welche vielfältigen Aktivitäten und Publikationen sich bei Waggerl trotz dieser Zurückhaltung in den sieben Jahren ansammelten.) Salzburg war in punkto literarischer Aktivitäten in der NS-Zeit rückständig. Die Versuche, „ein eigenständiges ausdifferenziertes literarisches Institutionensystem auf Gauebene zu schaffen“, blieben in Salzburg „ein klägliches Unterfangen“ (S. 17). Man musste sich auf Zensur und Kontrolle beschränken, der kulturelle Schwerpunkt lag auf Goebbels Steckenpferd, den Salzburger Festspielen. Es gab in Salzburg keinen spezifischen Literaturpreis, nur einen allgemeinen städtischen Kulturpreis, mit einem einzigen literarischen Preisträger – Karl Heinrich Waggerl.

Zu Salzburgs publizistischer Austerität der NS-Zeit passt auch der Umstand, dass selbst auf das einfach zu produzierende Medium der Anthologie nur zweimal zurückgegriffen wurde – warum jedoch Baur das Konzept der Landes-Anthologie „kurios“ (vgl. S. 45) findet, erschließt sich nicht, gerade in Österreich ist das ja seit jeher ein beliebter Publikationsrahmen. Kuriositäten gibt es dafür bei mancher Schriftstellerbiografie: Franz Karl Ginzkey, der 1920 auf Anraten Stefan Zweigs nach Salzburg übersiedelte, war im Umfeld der in Österreich ab 1933 verbotenen NSDAP tätig und wurde zugleich zu einem Vorzeigeautor des austrofaschistischen Regimes; und Eberhard Buschbeck war durch insgesamt fünf Regierungssysteme hindurch Burgtheaterdramaturg (wobei man wohl eher von Anpassungsleistung denn von einem kuriosen Gebaren sprechen muss).

Zu wünschen bleibt nach dem sechsten Band dieses für Österreichs Literaturgeschichtsschreibung so wichtigen Unternehmens zweierlei. Zum einen wäre ein präziserer Umgang mit historisch heiklen Begriffen ein Gewinn, denn „Ständestaatdiktatur“ etwa trifft nicht den Umstand, dass der ständische Staat zwar Programm des Dollfuß-Schuschnigg-Regimes war, aber nur in Teilen umgesetzt werden konnte, und die Wiedergabe von NS-Begriffen ohne Anführungszeichen ist besonders bei „Reichskristallnacht“ unschön (hier wäre zudem der Begriff Novemberprogrome opportun). Zum anderen möge dem Langzeitprojekt weder Geld noch Energie ausgehen, wir harren noch einiger Bände.

Uwe Baur, Karin Gradwohl-Schlacher Literatur in Österreich 1938-1945
Handbuch eines literarischen Systems. Band 6: Salzburg.
Wien, Köln, Weimar: böhlau, 2021.
318 S.; geb.
ISBN 978-3-205-21433-5

Rezension vom 22.03.2022

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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