Der Band versucht eine Neubestimmung der deutschsprachigen Literatur nach 1945 in vier Kapiteln: Es geht um „Redimensionierungen“, etwa mit einem Beitrag zum Verhältnis von Literatur und Terrorismus zwischen 1967 und 1977, um „Horizonterweiterungen“, um „Wi(e)derlektüren“ und um das Verhältnis deutschsprachiger und englischsprachiger Literatur. Der Horizont erweitert sich in Richtung der Minoritätenkulturen mit einem Beitrag zur deutsch-türkischen Literatur, aber auch in Richtung postmoderner Diskursstrategien.
Der Beitrag von Ingeborg Hoesterey zur Postmodernediskussion in Deutschland und Amerika macht die Diskursunterschiede deutlich. „Eine formalästhetische Orientierung veranlaßte die Exponenten der amerikanistisch-komparatistisc
Interessant ist die Auseinandersetzung Jürgen Schröders mit Botho Strauß im Kontext der Nachkriegsliteratur. Wie bei keinem anderen Autor verbinden sich beim „Adorno-Adepten“ Strauß aufklärerische und scheinbar reaktionäre Momente. Sein berühmt-berüchtigter Spiegel-Essay „Anschwellender Bocksgesang“ thematisiert indirekt auch die Geschichte der deutschen Nachkriegsliteratur und deren ideologischen Überbau. Der Beitrag macht deutlich, wie Werk und Person dieses Autors die neuralgischen Punkte deutscher Geistesgeschichte und deutscher Realverfassung nach 1945 treffen; Was Strauß fordert, ist eine „tiefere Aufklärung“ (Botho Strauß in seinem Ernst Jünger-Essay), die auch historisch weiter ausgreift als der gesellschaftskritische Reflex, der den intellektuellen Diskurs der Bundesrepublik über Jahrzehnte prägte.
In eine ähnliche Richtung geht der Beitrag David Pans zum Mythoskonzept des Philosophen Manfred Frank: Pan wirft Frank vor – und er stellt ihn damit in einen Traditionszusammenhang mit dem Naziideologen Alfred Baumler -, den ästhetischen Erkenntniswert des Mythos abzustreiten.
Hervorzuheben unter den „Wi(e)derlektüren“ ist Sara Lennox‘ Beitrag über die Rezeption Ingeborg Bachmanns. Bis hinein in die feministische Diskussion der 90er Jahre bestimmen Momente der frühen Bachmannrezeption in den 50er Jahren das Bachmannbild.
Die pragmatische und zugleich emphatische „Nachschrift“ zu Wendezeiten stammt von John E. Woods, einem der profiliertesten Übersetzer deutschsprachiger Literatur ins amerikanische Englisch. Im Gegensatz zur Hochkonjunktur amerikanischer Literatur im deutschsprachigen Raum nimmt der Kulturtransfer in die andere Richtung von Jahr zu Jahr ab. Drei bis vier tatsächliche literarische Erstübersetzungen sind es pro Jahr; diese Bücher fallen in einen kulturellen Raum, der fast nichts weiß von den Traditionen und Bedingungen deutschsprachiger Literatur: „A new text, for new readers, in a new context“.
Wendezeiten bietet in der Auffächerung der Themen die Grundlage für eine weiterführende Diskussion nicht nur der Frage: Was bleibt von der Nachkriegsliteratur? Die deutschen und englischen Beiträge zeigen vielmehr, daß die Einheit der deutschen Nachkriegsliteratur und der sie begleitenden Diskurse aufgebrochen werden muß. Was nottut, ist eine Entinstrumentalisierung von Literatur, ein Insistieren auf der ästhetischen Erkenntnisfunktion, ohne dabei die blinden Flecken im politischen Bewußtsein (etwa bei einer Neubewertung der Literatur aus der ehemaligen DDR) zu verdrängen.