Der Titel ihrer Arbeit ist vorerst ein wenig irreführend: Das Pferd frißt keinen Gurkensalat mag zwar neugierig machen, der erste Satz, den einer der Erfinder des Telefons – der Deutsche Philipp Reis – angeblich in die Muschel sprach, ist aber ein wenig umständlich; und die Bezeichnung „Kulturgeschichte“ trifft nur bedingt zu. Die Autorin meint zwar im Vorwort: „Wir produzieren telefonierend oder wartend oder lauschend Beziehungs-, Geschäfts-, politische und Kaffeehauskultur. Und wir sollten diese Kultur gut kennenlernen und reflektieren.“ (S. 11) Aber ebendort spricht sie auch treffender von einer „Sozioanalyse“.
Neben den kulturgeschichtlichen Fakten bildet ein kurzer Ausblick auf Kommunikationstheorien einen wichtigen Ausgangspunkt für diese Analyse: vielerorts werde, referiert Zelger, seit geraumer Zeit der „Mythos der telefonierenden Menschheit geschaffen“ und Telefondichte „mit demokratischer Öffentlichkeit und Diskursfähigkeit gleichgesetzt“ (S. 39). Die Autorin stellt von Beginn an klar, daß sie hier völlig anderer Meinung ist. Das beginnt für sie bei der (schon erwähnten) Telefonrechnung: „Und je mehr ich die Freiheit genieße, Solidarität übe, Demokratisierungsprozesse fördere, desto teurer kommt es mich. Desto unfreier werde ich, desto wichtiger werden Position, Schicht, Gehaltsklasse.“ (S. 53)
Für Sabine Zelger sind die Schriftstellerinnen und Schriftsteller die möglicherweise genauesten Beobachter der Telefongesellschaft und ihrer Entwicklung, also – wie sie schreibt – „Telefonexperten“. Sie sind keine Apologeten einer positiven Menschheitsentwicklung durch dieses Kommunikationsmittel, in der Literatur fokussiert sich der Umgang mit dem Telefon oft paradigmatisch; und Zelger macht keinen Hehl daraus, den Texten soziale Kompetenz und Aussagekraft zuzuschreiben. (Denkt man nur an Valentins großartigen Buchbinder Wanninger, so fällt es nicht schwer, der Autorin hierin zu folgen.)
Die literaturwissenschaftliche „Sozioanalyse“ führt nun die verschiedensten Situationen und Lagen, in denen telefoniert oder zu telefonieren versucht wird, vor, beginnend beim Telefonat in der Öffentlichkeit über die „Last und Lust der Erreichbarkeit“ bis hin zu Spezialfällen wie bestimmten Ritualen oder dem Anruf des Geliebten.
Sabine Zelger schafft es, trotz scheinbar ausuferndem Materialreichtum (die Bibliographie weist über 160 Primärwerke auf) und szientistischer Fundiertheit niemals in einen zu trockenen, zu wissenschaftlichen Ton zu verfallen.
Abgerundet wird die Untersuchung konsequent mit einem Blick auf die Opposition zu der am Telefon geforderten Schwatzhaftigkeit: dem Schweigen; denn der Stille in den Ferngesprächen kommt eine nicht zu unterschätzende Rolle zu: Das Schweigen „ist eine Stromschnelle im Redefluß“, „es erweist sich als eine Notbremse oder ein Gefühlsnotstopp oder ganz einfach als nackte akustische Gelegenheit.“ (S. 280)
So mancher Zeitgenosse wettert gegen die tragbaren Telefone, mit denen man nun selbst auf dem „stillen Örtchen“ erreichbar sei. In Zelgers Arbeit erfährt man, daß dies bereits bei Kaiser Franz Joseph der Fall war: er hatte sich, angeblich ebenfalls der ständigen Erreichbarkeit wegen, seinen privaten Anschluß in der Toilette anbringen lassen.