#Sachbuch

Das Taschenbuch

Günther Fetzer

// Rezension von Evelyne Polt-Heinzl

Günther Fetzer arbeitete viele Jahre bei großen Publikumsverlagen – Heyne, Scherz, Droemer Knaur – die, so ist dem letzten Abschnitt seiner informativen Abhandlung über die Geschichte des Taschenbuches zu entnehmen, an der Erosion des „Systems Taschenbuch“ maßgeblich mitgewirkt haben. Er verfügt also über einiges Insiderwissen, auch was die Quellen für seine umfangreichen Recherchen betrifft, Branchenblätter ebenso wie die reiche Sekundärliteratur zum Thema Buchmarkt, die ein 14 Seiten langes Literaturverzeichnis im Anhang dokumentiert. Denn eine große Hürde bei derartigen Untersuchungen ist die Verschwiegenheit der Branche, schließlich ist das Buch in diesem Kontext nicht primär ein Kulturgut, sondern eine Ware auf einem Markt voller Mitbewerber.

 

Im Konkreten beginnen die Schwierigkeiten schon beim Begriff ‚Taschenbuch‘. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts versteht man darunter gemeinhin eine kleinformatige Sammlung von Texten im Sinne eines Almanachs; der Inhalt kann schöngeistig sein, bald folgen auch populäre Aufarbeitungen einzelner Wissensgebiete oder Mischformen in Gestalt der Familienblätter. Charakteristisch aber wurde die serielle Erscheinungsweise. Das hat mit der Ausweitung der Lesefähigkeit zu tun, die im 19. Jahrhundert zur Beschleunigung des Buchmarktes und einem „Anschwellen der Lesestoffproduktion“ (S. 14) führen. Auf Seiten der Produktion waren technische Verbesserung im Bereich Papiererzeugung, Satzherstellung, Druckverfahren und Bindetechniken die Voraussetzung dafür. Die flächendeckende Verbreitung der Druckwerke besorgte der neue, auf das „Massenbuch“ (S. 19) spezialisierte Kolportagebuchhandel, praktisch umgesetzt von den vazierenden Kolporteuren, „frz. col: Nacken; porter: tragen“ (S. 20).

Die Entwicklung hin zum Taschenbuch im modernen Sinn macht Fetzer am Auftritt der Reihe fest (S. 23). Zu den Charakteristika gehören ein übergeordneter Reihentitel, oft mit Reihennummern versehen, einheitliche Gestaltung, niedriger Ladenpreis, relativ hohe Auflage und Periodizität. Diese Reihen führten oft die Bezeichnung „Bibliothek“ oder „Sammlung“ im Titel und richteten sich an ein (klein-)bürgerliches Publikum. Ein erster Prototyp ist Christian Gottlieb Schmiederers in Karlsruhe von 1774 bis 1793 publizierte „Sammlung der besten deutschen prosaischen Schriftsteller und Dichter“ in 180 Nummern. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts folgten zahlreiche derartige Reihen wie die „Etui-Bibliothek der Deutschen Classiker“ bei August Schumann (ab 1810), ab 1819 verlegte Karl Tauchnitz antike Klassiker, und der Markt scheint für eine Vielzahl ähnlicher Projekte groß genug gewesen zu sein. Das Aufkommen der Eisenbahn brachte dann die „Hochzeit der Eisenbahn- und Reisebibliotheken“ (S. 27).

Mit dem Klassikerjahr 1867, als alle vor dem 9. November 1837 verstorbenen AutorInnen gemeinfrei wurden, startete eine schwer überblickbare Zahl von „Bibliotheken“, die einander heftige Preisschlachten lieferten. Das bekannteste und am besten dokumentierte Projekt ist „Reclams Universal-Bibliothek“, zu den umfangreichsten belletristischen Reihen gehörten „Meyers Volksbücher“ (ab 1886), „Engelhorns allgemeine Roman-Bibliothek“ (ab 1884) oder „Kürschners Bücherschatz“ (ab 1897) (S. 60f.).

Da das Bibliothekswesen diese Formen populärer Lesestoffe stets „stiefmütterlich“ (S. 59) behandelt hat, sind Recherchen auf diesem Gebiet äußert mühsam, noch mehr gilt das für den Kolportageroman im Lieferprinzip, der hier nur kurz gestreift wird. Und es gilt auch für jene Reihen, die sich in den Dienst der Volksbildung stellten und gegen die „Schundliteratur“ der Kolportageromane ankämpften. Ein Prototyp dafür sind die „Wiesbadener Volksbücher“, die von 1900 bis 1937 269 Bände in einer Gesamtauflage von rund 15 Millionen Exemplaren produzierten (S. 71). Als Nummer 12 dieser Reihe erschienen übrigens Marie von Ebner-Eschenbachs Erzählungen „Krambambuli“ und “ Der gute Mond“. Eine schnelle Orientierung im Dschungel der Reihen, was Chronologie und Umfang der einzelnen Projekte betrifft, bietet eine tabellarische Übersicht (S. 83f.).

Das Taschenbuch entstand also im Gefolge eines Umbruchs des „gesamten Mediensystems“ (S. 81) und standardisierte und intstitutionalisierte sich im 19. Jahrhundert. Zwischen 1914 und 1945 geht die Zahl der Reihen dann deutlich zurück und der Schwerpunkt verlagert sich von Bildung zu Unterhaltung. Zu den relevanten weiterbestehenden Projekten zählen Tauchnitz, Reclam und Engelhorn. Den eher bescheidenen Reigen von Neugründungen eröffnet die Wiener „Tagblatt-Bibliothek“ 1923, 1926 folgen die „Die gelben Ullstein-Bücher“. Kurzlebigere Initiativen der Zwischenkriegszeit waren die „Knaur-Bücher“ zwischen 1927 und 1931 oder die Wiener „Glöckner-Bücher“ von 1929 bis 1931, als Nummer 67 erschien hier etwa Else Feldmanns „Melodie in Moll“.

Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs begann dann das große Geschäft mit einer Sonderform des Taschenbuchs: den Feldpostausgaben. Noch 1939 stiegen Verlage wie Böhlau, Kohlhammer, Reclam und Bertelsmann in das Geschäft ein, ab 1942 übernahm das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda die Oberhoheit über die „Sonderaktion Feldpost“. „Insgesamt haben sich 71 Verlage an der Aktion 1942 und an den Aktionen in den beiden Folgejahren beteiligt […]. Von ihnen wurden etwa 30 bis 35 Millionen dieser Feldpostausgaben hergestellt.“ (S. 113) Der Wegfall dieses lukrativen Geschäftszweiges brachte nicht wenige dieser Verlage nach der Befreiung 1945 ins ökonomische Trudeln.

Am anderen Ende des politischen Spektrums angesiedelt ist die „Buchreihe Neue Welt“, in der Gottfried Bermann Fischer und Fritz Landshoff im New Yorker Exil in 24 Nummern Bücher von AutorInnen des deutschsprachigen Exils herausbrachten, darunter Vicki Baum, Joseph Roth und Franz Werfel.

Nach einem kurzen Exkurs zum Buchmarkt in Großbritannien – mit dem 1935 gegründeten Penguin Taschenbuch – und Amerika widmet sich der letzte große Abschnitt gleichsam dem Taschenbuch im engeren Sinn, so wie sich der Begriff nach 1945 ausdifferenziert hat. „Gemeinhin gilt der 17. Juni 1950 als das mythische Datum der Taschenbuchgeschichte in Deutschland. An diesem Tag lieferte der Rowohlt-Verlag die ersten vier Titel seiner neuen rororo-Taschenbücher aus.“ (S. 139) Wer eines dieser frühen Exemplare sein eigen nennt, weiß um die Lebensdauer des Nachkriegspapiers Bescheid: Es ist gerade dabei, sich bei jeder Berührung in kleine Futzelchen aufzulösen.

Fischer und Goldmann starteten ihr Taschenbuch-Programm 1952, Ullstein 1955, Heyne 1958 – als Nummer 1 erschien hier Johannes Mario Simmels „Ich gestehe alles“ –, dtv 1961, Knaur, Suhrkamp und Bastei-Lübbe 1963, 1970 folgte Piper, 1971 Diogenes und 1972 startete „Das schöne Insel-Taschenbuch“. Und auch innerhalb der Verlage begann ein Prozess der „Ausdifferenzierung“ (S. 149) mit zahlreichen Unterreihen in den Bereichen Belletristik, Kinder- und Jugendliteratur sowie Wissenschaft. Eine Zusammenstellung für das Jahr 1965 nennt 68 Verlage mit 108 Reihen. Zu den Späteinsteigern ins Taschenbuchgeschäft gehören etwa Wagenbach 1975, Beck 1987 oder Haymon 2008. Eine Fundgrube dazu ist im Anhang die mehr als 30 Seiten lange „Taschenbuchchronologie“ für den gesamten deutschsprachigen Raum seit 1939. Wurden in den ersten beiden Jahrzehnten vor allem Lizenzausgaben aus dem eigenen Rechtefundus publiziert, kamen im Lauf der Jahre immer mehr deutsche Erstausgaben dazu und auch der Anteil an Originalausgaben deutschsprachiger AutorInnen begann zu steigen.

Ab Ende der 1980er Jahre konstatiert Fetzer die „Auflösung des Systems Taschenbuch“ (S. 175). Die optische Erkennbarkeit der Reihenstruktur wird peu à peu durch „Autoren-Images ersetzt, was sich deutlich sowohl in der Umschlaggestaltung als auch im Marketing für singuläre Autorenpersönlichkeiten niederschlägt.“ (S. 175) Eher kontraproduktiv war letztlich auch der Versuch, mit Imprints immer mehr Titel auf den Markt zu bringen, und natürlich betrafen die Konzentrationsprozesse als Folge der allgemeinen Krise des Buchmarktes auch das Taschenbuch. Eine tabellarische Übersicht über die Taschenbuchproduktion der 11 größten Player zwischen 2002 und 2017 zeigt einen deutlichen Titel-Rückgang bei den in diesem Feld noch aktiven 50 Verlagen bzw. Imprints. „In einem schrumpfenden Gesamtmarkt verliert das Taschenbuch leicht überproportional.“ (S. 203)

Günther Fetzer ist eine informative Studie gelungen, die dank der sorgfältig zusammengestellten Tabellen und Listen auch als Nachschlagewerk gute Dienste leistet. Ein wenig bedauerlich allenfalls, dass er bei der Beschreibung der aktuellen Probleme des Taschenbuch-Segments auf eine Analyse jener Faktoren verzichtet, die dabei auch ‚hausgemacht‘ sind. Denn just in einer Zeit des omnipräsenten ‚Labellings‘, in der jede designte Haarspange, der Turnschuh, die Sonnenbrille oder das T-Shirt mit irgendeinem Tierlogo als eigenes Label vermarktet wird, hat die Buchbranche auf das Markenzeichen der Reihe als effektives Marketingelement verzichtet, selbst der Verlagsname findet sich am Buchcover oft nur mehr versteckt. Diese Entwicklung hätte man gerne aus der Sicht eines Insiders mit bester Branchenkenntnis erklärt bekommen.

Günther Fetzer Das Taschenbuch
Geschichte – Verlage – Reihen.
Tübingen: Narr Francke Attempto, 2019.
274 S.; brosch.; m. Abb.
ISBN 978-3-8252-5155-0.

Rezension vom 09.09.2019

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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