#Sachbuch

Vergessen? Niemals!

Heidrun-Ulrike Wenzel

// Rezension von Evelyne Polt-Heinzl

Heidrun-Ulrike Wenzel hat eine umfassende Dokumentation zur Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte der Ausstellung „Niemals vergessen“ erarbeitet, die vom September bis Dezember 1946 im Wiener Künstlerhaus gezeigt wurde. In dieser sorgfältigen Aufbereitung ergibt das Schicksal dieser Ausstellung zugleich einen kompakten Überblick zur österreichischen Nachkriegsgeschichte.

Die Planung wurde auf Anregung der sowjetischen Besatzungsmacht bereits im Mai 1945 mit Zustimmung von SPÖ, ÖVP und KPÖ von der Gemeinde Wien unter Kulturstadtrat Viktor Matejka in Auftrag gegeben. 1945/46 war das kurze Zeitfenster noch offen, in dem Aufklärung über die NS-Verbrechen von den Alliierten explizit gefordert wurde und eine derartige Ausstellung als staatspolitisches Projekt noch möglich war – bevor die Zeichen der Zeit final in den Kalten Krieg einschwenkten. Die ersten Konzepte und Umsetzungsideen des Projektleiters Victor Slama, der ein vielköpfiges Team koordinierte, entstanden „zu einem Zeitpunkt, wo es noch keine Regulative der neu entstandenen Republik Österreich“ zum Umgang mit dem „Nationalsozialismus und dem Austrofaschismus gab“ (S. 54). Deshalb folgt die Ausstellung dem bald danach etablierten „Bild der Opferrolle nur zum Teil. Ihre Architektur, Ikonographie und Textierung machen deutlich, dass die Schau vor allem als Mahnung, Anklage und Verpflichtung zu verstehen war.“ (S. 204)

Dass der ursprünglich anvisierte Termin Herbst 1945 nicht eingehalten werden konnte, lag zunächst nicht an inhaltlichen Divergenzen, sondern an Problemen mit der Beschaffung der nötigen Materialien und der Instandsetzung des Künstlerhauses. Doch der erste politische Konfliktpunkt kam bald: Der ursprüngliche Titel „Antifaschistische Ausstellung“ musste auf Wunsch der ÖVP abgeändert werden, die bereits damals als „conditio sine qua non“ auf dem „Weglassen der Zeit von 1934–1938“ bestand. So wurde die Ausstellung am 14. September 1946 unter dem Titel „Niemals vergessen“ mit einem großen Staatsakt eröffnet. Die Wiener Philharmoniker hatten ihre Teilnahme zunächst mit dem Verweis auf eine vereinbarte Schallplattenaufnahme mit dem NS-Mitglied Herbert von Karajan abgesagt, spielten nach einigen medialen Protesten dann aber doch unter dem Dirigat des vom NS-Regime verfolgten Josef Alois Krips.

Der vorliegende Band liefert eine detaillierte Beschreibung der 12 Ausstellungsräume, die in drei Themenblöcke strukturiert waren: Entstehung und Ablauf des Faschismus bis zu den Nürnberger Prozessen, die Folgen des Faschismus mit Eroberungskrieg und Vernichtungsmaschinerie und der dritte Teil war als Mahnung und Aufruf zum demokratischen Wiederaufbau angelegt. Ästhetisch setzte die Schau auf den umfangreichen Einsatz von Bild-Text-Collagen, Bildstatistiken, Fotos, Presseberichten und Modellen. Auf Anregung Leopold W. Rochowanskis wurde im ersten Stock eine eigener Kunstraum eingerichtet, in dem elf Ölbilder, 44 Grafiken und vier Plastiken zum Thema Krieg und Verfolgung gezeigt wurden. Nicht mit Ruhm bekleckert hat sich im Übrigen die „Gesellschaft bildender Künstler Österreichs“, die im Namen ihrer „verdrossenen Künstler“ wiederholt dagegen protestierte, dass ,ihr‘ „Künstlerhaus durch eine politische Propagandaausstellung so lange blockiert war“ (S. 150).

Die Intention als antifaschistisches Aufklärungsprojekt zeigt sich auch im umfangreichen Beiprogramm mit Vorträgen, Filmvorführungen, Rundfunksendungen – ein von Johannes Mario Simmel geplantes Hörspiel zum Thema scheint nicht realisiert worden zu sein (S. 95), einer Fragebogen Aktion unter den insgesamt 260.000 Besuchern und einem dezidierten Aufforderungsschreiben an die 135.082 registrierten Wiener NSDAP-Mitglieder, die Ausstellung zu besuchen. Dass diese Aktion von den „Registrierten“ nicht nur positiv aufgenommen wurde, ist ebenso wenig verwunderlich wie die Tatsache, dass auf den 3.500 beantworteten Fragebögen auch manche Ungeheuerlichkeiten zu lesen waren.

Wenig überraschend ist auch der „vorsichtige“ (S. 122) Umgang mit der Thematik „Judenverfolgung – Judenvernichtung“ im Raum VI, standen hier doch Fragen des Pogroms von 1938 und der Arisierung wie Plünderung jüdischen Eigentums immer mit im Raum. Auch Exil und Emigration werden weder in der Ausstellung noch im Vortragsprogramm thematisiert. Hingegen hat sich ein bis heute lebendiges Mythologem bereits zur Zeit der Ausstellung verfestigt: „Zuletzt hatten sie unseren Stephansdom mit Brandgranaten beschossen.“ (S. 95) So ist in einem zitierten „Manuskript der Radioreportage zur Ausstellung“ (S. 96) zu lesen.

Es ist wirklich schon alles da, was das Nachkriegs-Österreich prägt: Die Gesprächsverweigerung zu Themen wie Austrofaschismus oder Restituierung, die nonchalante Entnazifizierung der Institutionen der Hochkultur und die Verherrlichung der Wiederaufbauleistung im Bild des zerbombten Stephansdoms. Doch er wurde eben nicht zerbombt, die beiden Bombentreffer vom 22. September 1944 und 8. April 1945 richteten vergleichsweise geringe Schäden an, und der Artilleriebeschuss der letzten Kriegstage durchlöcherte nur das Dach. Wirklich fatal waren die beiden von Plünderern verursachten Brände durch Funkenflug zwischen 8. und 12. April 1945, die auch die Pummerin zum Absturz brachten.

Und noch etwas ist bei dieser Ausstellung des Jahres 1946 schon da: die Idee eines antifaschistischen Museums (für Zeitgeschichte), die freilich nicht realisiert werden konnte. Immerhin gab es zwei Nachnutzungen: In Innsbruck wurde die Ausstellung im August 1947 gezeigt, anschließend vom 10. September bis 10. Oktober 1947 im Linzer Finanzgebäude an der Donaulände. Danach hat sich das Zeitfenster für Entnazifizierung und antifaschistischer Aufklärungsarbeit für lange Zeit wieder geschlossen.

Heidrun-Ulrike Wenzel Vergessen? Niemals!
Die antifaschistische Ausstellung im Wiener Künstlerhaus 1946.
Dazu: Der virtuelle Ausstellungsrundgang „Im Spiegel der Erinnerung“ online.
Wien, Berlin: Mandelbaum Verlag, 2018.
212 S.; brosch.; m. Abb.
ISBN 978-3-85476-509-7.

Rezension vom 22.05.2018

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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