#Sachbuch

Machen Sie mich schön, Madame d'Ora!

Monika Faber, Ester Ruelfs, Magdalena Vukovic (Hg.)

// Rezension von Redaktion

Die Lebenszeit der Fotokünstlerin Dora Kallmus von 1881 bis 1963 war auf allen Ebenen des gesellschaftlichen und politischen Lebens von radikalen Umbrüchen gekennzeichnet. Dass und wie sie sich in ihrem Werk nachzeichnen lassen, erforscht der umfangreiche und reich bebilderte neue Band im Brandstätter Verlag.

Am wenigsten detailliert passiert das eigenartiger Weise genau für jenen Bereich, der ihr Metier selbst betrifft. Von dem Moment an, als Dora Kalmus 23-jährig ihre erste Kamera erstand und sich zwei Jahre später nach dem Besuch der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien als Fotografin ins Gewerberegister eintragen ließ, bis zu ihrer letzten Ausstellung 1958 in Paris „veränderte sich die gesamte Kamera- und Abzugstechnik radikal“ (Monika Faber, S. 23). Was das für die 200.000 Aufnahmen bedeutet, die in „den diversen Ateliers von d’Ora in Wien, Karlsbad und Paris […] ausgearbeitet wurden“ (ebd.), wäre eigentlich eine spannende Frage.

Doch spannend sind auch die 18 hier versammelten Beiträge, die eine Fülle von Aspekten neu oder erstmals beleuchten. Es beginnt mit ihrer Herkunft aus einem wohlhabenden jüdischen Elternhaus, einer ersten unglücklichen Beziehung, die zum Entschluss führt, die Selbständigkeit zu wagen – unterstützt vom Wohlwollen des Vaters, der das erste große Atelier in der Wipplingerstraße ausstattet. Der Weg zur Society-Fotografin war wenig überraschend kurz – schließlich verkehrte im Elternhaus die intellektuelle Elite der Wiener Gesellschaft. Man war befreundet mit der Familie des Zeitungsherausgebers Moriz Szeps, mit dessen Tochter Berta Zuckerkandl, die für erste prominente Kundschaft gesorgt haben soll, teilte Dora Kallmus die Liebe zur französischen Kultur, die zum Pseudonym „Madame d’Ora“ führte. Französisch klingende Atelier-Bezeichnungen waren freilich gerade für ModefotografInnen als Hommage an die Pariser Modewelt generell en vogue.

Dass hinter und in ihren Bildern immer mehr an Gestaltungswillen steckt, als auf den ersten Blick vielleicht sichtbar wird, zeigt Monika Faber u. a. anhand der berühmten gestreiften Biedermeierbank, auf der 1910 Arthur Schnitzlers Familie posiert und fünf Jahre später in ganz ähnlichem Arrangement die Familie des Kronprinzen Karl. Christian Brandstädter sieht sich die Hunde als Accessoires in ihren Studiobildern und auch als eigene ,Porträtmotive‘ genauer an, Andrea Amort ihre Vorliebe für exaltierte Tanzposen – etwa bei Josephine Baker oder Anita Berber. Auch Dora Kallmus‘ eigene Texte zu Pariser Mode und „Schmuckfantasien“ werden eingespielt. Besonders spannend ist Ester Ruelfs Frage nach dem Frauenbild in den Frauenporträts Madame d’Oras, in denen sich der Umbruch der Geschlechterrollen vorbereitet und abzeichnet, aber zugleich eine „Gleichzeitigkeit moderner und traditioneller Frauenporträts“ (S. 172) zu findet ist. Das hat wohl mit ihrer beruflichen Ausrichtung zu tun, Dora Kallmus war 1925 dauerhaft nach Paris übersiedelt, wo sie die Glamourfotografie als Teil der Werbemaschine für Stars und Starlets ebenso bediente wie den Verbund aus „Haute Couture & Haute Société“ (Sylvie Lécallier, S. 210).

Die Arisierung des Familienhauses in Frohnleiten 1939 und die Deportation ihrer Schwester 1941 musste sie nicht persönlich erleben, 1940, nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Paris aber ihr Atelier verkaufen und 1942 ins Departement Ardèche fliehen. Zwischen 1946 und 1948 reiste Dora Kallmus zweimal nach Österreich und arbeitete hier – offenbar im Auftrag der UNO – an einer Fotoserie über die Lager der sogenannten Displaced Persons. Diese Sujets verbindet man mit dem Namen Madame d’Ora gemeinhin genauso wenig wie ihre 1954 entstandene Serie mit Schlachthausbildern.

Monika Faber, Ester Ruelfs, Magdalena Vukovic (Hg.) Machen Sie mich schön, Madame d’Ora!
Dora Kallmus – Fotografin in Wien und Paris 1907 – 1957.
Wien: Brandstätter, 2017.
357 S.; geb.; m. Abb.
ISBN 978-3-7106-0221-4.

Rezension vom 11.06.2018

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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