#Sachbuch

Außenwelten

Klaus Detjen

// Rezension von Stefan Winterstein

Das vorliegende Bändchen über die „Formensprache von Buchumschlägen“ ist offenbar weniger als systematische Untersuchung gemeint – welche Vermutung der Titel durchaus gestatten würde – denn als Plädoyer. Der Leser begreift dies nach wenigen Seiten. Nach einigen weiteren Seiten versteht er zudem, dass es nicht – was der Titel gleichfalls offenlässt – um die Gestaltung von Buchumschlägen im Allgemeinen gehen soll, etwa auch mit Blick auf Grafiken oder fotografische Mittel, sondern immer mit Fokus auf die Typografie, das „wichtigste[ ] Medium in der Umschlaggestaltung“, wie Klaus Detjen proklamiert (S. 18).

Das größte Hindernis, dem Autor im Detail zu folgen, liegt (um dies gleich eingangs festzuhalten) in der geringen Zahl von beigestellten Abbildungen: Dutzenden genannten und teils eingehend behandelten Umschlägen stehen bedauerlicherweise nur 17 Abbildungen gegenüber, und auch diese werden nur im Schwarzweißdruck geliefert. Der Autor bespricht so reihenweise grafische Arbeiten, die der Leser nicht oder bestenfalls als vage Erinnerung vor Augen hat. Dass die besprochenen Gestalter ohnehin „im Internet sehr gut vertreten“ seien (S. 6), wie es als Begründung dazu heißt, ist ein unzureichender und teils leider auch falscher Trost – bisweilen verläuft die Online-Recherche nach den zitierten Umschlägen im Sand, mühsam aber ist sie, sofern man, wie der Rezensent, nur zwei Hände hat, eigentlich immer.

Als Fürsprecher eines formbewussten und behutsamen Umgangs mit dem Medium Schrift tritt Klaus Detjen auf, und er tut dies mit einiger Autorität. 1943 in Breslau geboren, in Hamburg lebend, ist er innerhalb des Faches Praktiker und Theoretiker zugleich: Typograf und Buchgestalter, war er bis 2009 Professor für Typografie und Gestaltung an der Muthesius-Kunsthochschule in Kiel. Im Wallstein Verlag fungiert er unter anderem als Herausgeber der beiden Reihen „Typographische Bibliothek“ sowie „Ästhetik des Buches“, deren Band 9 das vorliegende Buch darstellt. Für seine Arbeiten wurde er 2014 mit dem Antiquaria-Preis für Buchkultur und 2017 mit dem Gutenberg-Preis der Stadt Leipzig ausgezeichnet.

Detjens Abhandlung zerfällt in zwei große Abschnitte, die der Vergangenheit bzw. der Gegenwart gewidmet sind, eine dazwischenliegende Zäsur sowie eine Einleitung. Letztgenannte (S. 9–24) leidet etwas unter ihrer inneren Heterogenität, die darauf zurückzuführen scheint, dass zwei längere Passagen aus früheren Veröffentlichungen recycelt wurden (vgl. S. 87). Am bedauerlichsten ist, dass das Thema Schrift als solches lediglich anhand der Geschichte der Groteskschrift Futura abgehandelt wird (die betreffende Passage geht auf einen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen zurück), die zwar interessant ist, aber als Exempel Prinzipielles schlecht ersetzen kann.

Wesentlich glaubwürdiger ist Detjens Parforceritt durch die Vorgeschichte und Geschichte des Buchumschlags, der recht zielstrebig in einen Überblick über Vertreter und Anliegen der Neuen Typografie mündet – hier sind wir im Zuhause des Autors angelangt. Die Uridee der in den 1920er Jahren aufkommenden Neuen Typografie, mit der die kreative äußere Buchgestaltung eigentlich erst einsetzte, ist schnell erklärt: „Es wird die Gestaltungsoberfläche zum Raum erklärt, also nicht die bisherige zentrale Mittelachse dominiert, sondern eine Rhythmisierung der gesamten Fläche wird angestrebt, so werden Plastizität und Bewegung erreicht.“ (S. 14)

Der erste Großabschnitt des Buches ist der Analyse von Musterbeispielen gelungener typografischer Umschlaggestaltung bzw. den Karrieren von vier herausragenden und epochemachenden Gestaltern der deutschen Nachkriegs-Verlagsgeschichte gewidmet. Diese Fallgeschichten am Kreuzungspunkt von Kunst und Reklame, die mit profunder Sachkenntnis und viel biografischem Hintergrundwissen geschrieben und reizvoll zu lesen sind, bilden das eigentliche Herzstück des Buches:

Willy Fleckhaus, der Erste in der Reihe, prägte ab 1959 das Gesicht des Suhrkamp Verlags und verhalf diesem zu Umschlägen, die heute praktisch jeder kennt und die uns, wie Detjen befindet, „im besten Sinne wie aus einer klassisch modernen Epoche“ anmuten (S. 33). Siegfried Unseld hatte Fleckhaus einst engagiert, nachdem selbiger seine kritische Meinung zu vorliegenden Umschlagentwürfen von Gunter Böhmer geäußert hatte, die er für zu wenig „vernünftig“ hielt. Sein Credo lautete, die Gegenwärtigkeit der schriftstellerischen müsse durch eine Gegenwärtigkeit der grafischen Mittel reflektiert werden. Er tat dies allein mit den minimalistischen Mitteln der Schrift, die er an die Stelle des Bildes setzte, und zwar durch fast ein Vierteljahrhundert, bis zu seinem Tod im Jahr 1983.

Auf den Schweizer Grafiker und Illustrator Celestino Piatti wiederum geht das tausendmal gesehene und von ihm selbst angeblich tatsächlich über sechstausendfach persönlich umgesetzte visuelle Konzept des Deutschen Taschenbuch Verlags zurück: weißer Grund, Autorname und Buchtitel – getrennt durch einen freigestellten Doppelpunkt – in schwarzer Akzidenz-Grotesk Medium oben rechtsbündig gesetzt, unten ebenfalls rechtsbündig das Verlagskürzel, dazwischen die Fläche für Abbildungen. An ein derartig markantes Äußeres, kritisiert der Autor abschließend, habe der Verlag nach Piatti nie wieder anknüpfen können – „im Gegenteil, er ist fast zu einem gesichtslosen Allerweltsverlag mutiert“ (S. 38).

Experimenteller als Fleckhaus und Piatti agierte der für verschiedene Verlagshäuser arbeitende Hannes Jähn, der insbesondere für Kiepenheuer & Witsch tätig war. Ebenso radikal wie heute legendär ist etwa sein Einband zu Nathalie Sarrautes Roman „Zwischen Leben und Tod“, der den Buchtitel streng geometrisch in senkrechte Buchstabenkolonnen auflöst. Auf Heinz Edelmann schließlich gehen die Einbände der „Reihe Hanser“ (Carl Hanser Verlag) ab 1968 zurück, bekannt geworden als sogenannte „gelbe Reihe“, ebenso wie viele herausstechende Buchgestaltungen des 1977 fusionierten Verlags Klett-Cotta, wo typischerweise Fotografie und Typografie miteinander kommunizieren.

Der erste Großabschnitt wird abschließend kursorisch um weitere Namen ergänzt, darauf folgt unter der Überschrift „Beliebigkeit, Formlosigkeit“ die genannte Zäsur: Der frühere Wunsch von Verlagen, „eine eigene Ästhetik der Unverwechselbarkeit, der Abgrenzung, auch einer Identität und einen ausgemachten Formwillen […] anzustreben“ (S. 56), wird hier pessimistisch mit dem heutigen Gefühl konfrontiert, „daß eine Indifferenz und eine Beliebigkeit in der Umschlaggestaltung um sich greift“ (S. 59). Mögliche Gründe für diesen Umstand (etwa mangelnder Mut, dominantes Marketing) werden nur in Frageform genannt, zur Veranschaulichung jedoch geißelt der Autor zwei nach seiner Auffassung besonders lieblose – aber nichtsdestotrotz prominente – Umschläge aus den vergangenen Jahren.

Der zweite Großabschnitt, der gleich dem ersten aus Fallgeschichten besteht, liefert freilich genügend hervorragende Beispiele der Gegenwart, die den zuvor geäußerten Pessimismus überflüssig erscheinen lassen. Am prominentesten wird hier Walter Hellmann, Victor Malsy (der etwa die Reihe „Denker“ bei C.H.Beck gestaltet), Nina Rothfos, Patrick Gabler sowie Friedrich Forssman (auf den unter anderem das Redesign von Reclams Universal-Bibliothek zurückgeht) gehuldigt. Ihre Arbeiten demonstrieren, dass qualitätsvolle Buchcovers von heute anders aussehen als frühere – aber keineswegs form- oder phantasieloser.

Gelungene Umschlaggestaltung, resümiert Detjen am Ende, ist Übersetzungsarbeit, „auf der Suche nach einer dem Text angemessenen Form“: „Es ist ein Sich-Einlassen auf den Text, auf Erkenntnisse, auf Botschaften des Autors, das Hinüberziehen, Hinübersichern einer Vorstellung, die dem Text entspringt, sie gilt es gedanklich zu modulieren und in eine sichtbare Form zu führen.“ (S. 80) Das dazu nötige Formbewusstsein lebt fort, die Suche nach dem immer Neuen wird weitergeführt.

Klaus Detjen Außenwelten
Zur Formensprache von Buchumschlägen.
Göttingen: Wallstein, 2018.
87 S.; brosch.
ISBN 978-3-8353-3225-6.

Rezension vom 15.11.2018

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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