#Sachbuch

ÖSTERREICH

Wolfgang Maderthaner

// Rezension von Redaktion

Die Gegenwart ist kaum zu fassen, die Vergangenheit schwer zu ordnen und der Überblick nicht zu bewahren. Das macht das Konzept „XY in 100 Bildern/Objekten/Beispielen“ im Moment besonders populär. Die Welt, in diesem Fall die gesamte Geschichte Österreichs, wird hier mit 99 Objekten aus dem österreichischen Staatsarchiv so anschaulich und leicht fasslich ausgebreitet, dass es eine Lust ist.

Verliert man die zwangsweise bei solchen Projekten waltende Willkür nicht aus den Augen, ist der prächtig ausgestattete, großformatige und überaus gewichtige Band mit seinen 560 Seiten und zahlreichen Abbildungen eine durchaus informative Lektüre, die vor allem viele Einblicke in die Herrschaftsgeschichte gewährt, beginnend mit dem ersten erhaltenen Verwaltungsakt aus dem Jahr 816 (S. 47).

Beeindruckend, wie da 1330 und 1363 mit ganz ähnlichen, prächtig gesiegelten Verträgen ein paar Weingärten in Klosterneuburg oder ganze Grafschaften „übertragen“ werden (S. 47 und 54). Das ungedeutete Aktronym „AEIOU 1226“ wird ebenso abgehandelt (S. 62) wie der Augsburger Religionsfrieden 1555 (S 68) oder das erste Mandat zur Kennzeichnungspflicht der Juden mit einem gelben Ring aus dem Jahr 1551 (S. 95). Ein Heeresbericht Prinz Eugens vom September 1697 (S. 122), sinnvoll ergänzt mit Hugo von Hofmannsthals Propagandaschrift für diesen Feldherrn aus dem Jahr 1915 (S. 126ff.). Maria Theresias politisches Testament von 1750 (S. 157ff.) findet sich genauso wie ein Todesurteil (S. 215) und ein Brief von Andreas Hofer (S. 218); der beim Justizpalastbrand 1927 angekohlte erste Entwurf zum Bürgerlichen Gesetzbuch aus dem Jahr 1809 (S. 223) ist ebenso zu sehen wie eine Schlachtenskizze Metternichs zur Völkerschlacht bei Leipzig 1813 (S. 231), die Gründungsurkunde der Doppelmonarchie vom 21.12.1867 (S. 267) oder der Kapellmeister-Vertrag Gustav Mahlers mit der Hofoper Wien (S. 278), der Obduktionsbericht Kaiserin Elisabeths (S. 298), der Entwurf zur Einführung des Männerwahlrechts 1907 (S. 310), die Verschlussakte Oberst Redl (S. 330) oder der Militärausweis von Ludwig Wittgenstein vom Juni 1918 (S. 341). Sigmund Freud ist mit einem Gutachten über die Elektroschocktherapie bei Kriegsopfern vertreten (S. 383), der Justizpalastbrand mit den Totenprotokollen (S. 400). Den Weg in den Abgrund begleiten u. a. Ein Planskizze des „Anhaltelagers“ Wöllersdorf von 1934 (S. 435), das von Hitler und Schuschnigg unterzeichnete Berchtesgadener Abkommen (S. 439) oder die behördlichen Formulare „Verzeichnis über das Vermögen von Juden“ (S. 455) und „Beschlagnahmungsverfügung“ (S. 458). Plakate zum Marshall-Plan fehlen ebenso wenig wie eine Fotostrecke zum Kraftwerk Kaprun (S. 494) oder ein Manuskriptblatt von Merz/Waulitinger „Der Herr Karl“. Mit Auszügen aus Kreiskys Regierungserklärung, dem Mock-Eder-Kuss beim EU-Beiritt, der Affäre Waldheim und der Flüchtlingskrise sind wir dann in der Gegenwart angekommen.

Es ist zweifellos ein beeindruckender Parcours mit informativen und gut lesbaren Erklärungstexten. Gut geeignet auch, um immer wieder einmal darin zu blättern. Und wer mehr wissen möchte, dem hilft eine kleine Liste mit „Referenzliteratur“ im Anhang.

Wolfgang Maderthaner ÖSTERREICH
99 Dokumente, Briefe und Urkunden.
Wien: Brandstätter, 2018.
592 S., geb.; m. Abb.
ISBN 9783710601934.

Rezension vom 18.12.2018

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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