Es beginnt mit
- (1) einem Text zu »Peter Handkes Attacke gegen Thesen einer SDS-Gruppe« (1968), geht weiter miz
- (2) Bemerkungen zur »Innerlichkeit« und zur »Sprachmetaphysik« Handkes (1969), mit Texten
- (3) zu »Der kurze Brief zum langen Abschied« (1973),
- (4) zum Film »Die linkshändige Frau« (1978),
- (5) zu »Langsame Heimkehr« (1979),
- (6) zu »Der Chinese des Schmerzens« (1983) oder
- (7) zu Handke als Briefschreiber und Leser (1993), mit der
- (8) Laudatio Hamms zur Verleihung des Schiller-Preises des Landes Baden-Württemberg an Peter Handke 1995, Beiträgen
- (9) zu »Am Felsfenster morgens« (1998),
- (10) zu »Der Bildverlust« (2002) und
- (11) zum Briefwechsel zwischen Hermann Lenz und Peter Handke (2006) und reicht bis zu einem Text
- (12) über den Bezug Handkes zu Spanien (2007) und
- (13) zu einem »Versuch« Peter Hamms »über das Haus des Dichters« in Chaville (2011).
Über Sinn oder Unsinn von Sammelbänden bereits publizierter Beiträge könnte man lange streiten, und die genannten ›Fakten‹ könnte man miesepetrig oder wohlwollend interpretieren: Der Miesepeter würde die Willkür in der nicht weiter erläuterten Auswahl bemäkeln – man vermisst ein klärendes Vor- oder Nachwort – oder noch grundsätzlicher »nicht schon wieder Handke« stoßseufzen. Aber eine solche Kritik wäre wohlfeil, weil man das Buch ja erstens nicht lesen muss, wenn man zu solchen Stoßseufzern neigt, und zweitens zudem vieles wiederholen würde, was ohnehin schon recht lautstark und mehr oder weniger gut argumentiert seit 50 Jahren auf Peter Handke (oder seine Leser*innen) niederprasselt. (Die frühen Texte von Peter Hamm in diesem Band zählen ja selbst auch dazu. Man kann die Handke-Kritik also direkt im Buch nachlesen.)
Eine wohlwollende Kritik würde sich freuen über eine ganze Reihe von Beiträgen, die wohl ohne dieses Buches gar nicht mehr so leicht zu finden wären und schon alleine aus historischen Gründen (und dies nicht nur für Handkeforscher*innen) von Interesse sind, aber darüber hinaus auch scharfblickende und feinfühlige Einblicke in einige Texte von Peter Handkes umfassendem Œuvre erlauben. Allerdings, und hier würden Miesepeter und Frohnatur vielleicht sogar einmal einer Meinung sein, wirft das Buch letztlich mehr Licht auf Peter Hamm und seine Handke-Lektüren – die Covergestaltung ist diesbezüglich nicht ganz uninteressant – als auf Peter Handke und dessen Werk, zu dessen Erläuterung, wenn man denn nahezu ein halbes Jahrhundert überblicken möchte, es ja auch weit mehr als 13 Beiträge bedürfte.
Wenn man Peter Hamms Wandlung von einem, wie der Buchrücken verrät, »scharfen Kritiker zu einem nahen Freund des Dichters« und somit die Bewegung von eher miesepetrigen zu wohlwollenden Handke-Lektüren nachvollziehen möchte, dann hat man mit diesem Buch einen guten Griff getan – umso mehr, weil es nicht nur eine individuelle, sondern auch eine kollektive Wandlung in der Handke-Rezeption zur Abbildung bringt: von der manchmal beißenden Kritik an der hermetischen Prosa und den sperrigen Theaterarbeiten des jungen Handke über die weit ruhigeren und meist auch präziseren Analysen von Handke-Texten der 70er bis 90er Jahre bis zum mit Verehrung vermischten Lob für den (Theater-)Schriftsteller des neuen Jahrtausends. Dazu müssen natürlich jene Texte zu (Ex-)Jugoslawien, mit denen Peter Handke in den 90er Jahren in den Strudel des Medienrummels und der Politik hineingerissen wurde, und die oft harsche Kritik daran ausgeblendet werden – und das tut Peter Hamm nun auch, der diese Texte und die Reaktionen darauf, wenn überhaupt, nur en passant erwähnt. (Wie man Handkes ›Jugoslawientexte‹ in sein Gesamtwerk einordnen könnte, ist selbst in der Handkeforschung umstritten. Ihr Fehlen in einem schmalen Auswahlband eines nahen Freundes zu monieren, wäre nicht fair.)
Peter Hamms Analysen sind dort am klarsten (und damit auch am gewinnbringendsten), wo er den manchmal wütenden und verworrenen Ton des Kritikers der späten 60er Jahre – der Karlheinz Bohrer in seinem Urteil über Handke als Poeten einer »zwanghaften Ästhetik« und einer »totalen Esoterik einer neuen Innerlichkeit« (S. 16/17), so wird Bohrer im zweiten der genannten 13 Texte zitiert, durchaus zu folgen geneigt ist und Peter Handke im selben Text »Klischeejägerei« (S. 21) unterstellt und ihm vorwirft, »Sprachmetaphysiker« (S. 25) zu sein, der »die Klassenfrage in keinem seiner Texte stellt« (S. 21) – nicht mehr anschlägt und noch nicht in jenes verehrende Naheverhältnis zu Peter Handke eingetreten ist, das die Zeit ab den 90er Jahren prägt und stellenweise zur Apologie gerät, die mit apodiktischem Anspruch auftritt: Da wird dann Handkes Arbeit(sweise) und poetisch vorgebrachte Poetologie zu etwas Allgemeingültigem erklärt (»Wie für den Mystiker ist auch für den Schriftsteller Leere die Voraussetzung für die Erleuchtung, früher Inspiration genannt«, heißt es generalisierend im neunten Beitrag auf S. 108, »Wenn in deutscher Sprache noch Weltliteratur geschrieben wird, dann sieht sie so aus wie die von Peter Handke« ebenso generalisierend im zehnten auf S. 127), wird Handke selbst im zehnten Beitrag vor dem »hiesigen Unisono-Chor der selbstgerechten Schuldzuweiser« (S. 115) in Schutz genommen oder wird im zwölften Beitrag die »Fried- und Freudefertigkeit, die uns damals« – d.h. »bei unseren Petrarcapreis-Festen in Frankreich und Italien (einmal auch in Sils Maria)« – »alle im Zeichen der Poesie einte und beseelte« (S. 144), beschworen.
Die letzten Sätze des Buches markieren die genannte Verehrung wohl am besten: »In seiner Geschichte des Bleistifts notiert Peter Handke: ›Als Goethe Grillparzer 1826 an der Hand ergriff (um ihn ins Speisezimmer zu führen), brach dieser in Tränen aus; und Kafka hat dann die Ziegel von Goethes Haus gestreichelt.‹ Wenn ich, so Gott will, wieder nach Ch. komme [Anm.: nach Chaville, wo Peter Handke lebt], will ich mich dieses Satzes erinnern und nicht nur den Freund, sondern auch sein Haus freudig begrüßen.« (S. 163)
Am trefflichsten scheint mir Peter Hamm, wie bereits angedeutet, Handkes Texte in jenen Beiträgen zu charakterisieren, die zwischen diesen beiden Phasen politisierter Kritik und freundschaftlicher Nähe liegen. Hier sind präzise Beobachtungen zu finden, deren Klarheit nicht verstellt wird durch Einwände oder Bewunderung. Peter Hamm war immer schon ein sehr scharfer Beobachter des Werkes von Handke, und er trifft auch genau – so weit ich imstande bin, das zu beurteilen – dessen charakteristische Spezifika, aber gegen das Charakteristische an Handkes Texten nimmt er um 1970 herum noch ideologisch Stellung, ab den 1990er Jahren wird die Klarheit der Beobachtung durch Wertschätzung manchmal getrübt.
So stört Hamm am Ende der 60er Jahre (im zweiten Beitrag) noch die Tatsache, dass Handke die Geschichtlichkeit der uns umgebenden Wirklichkeit ebenso ausblendet wie jene »einer verstümmelten oder unbeholfenen Sprache«, der gegenüber Handke zwar Ekel empfinde, »nicht aber vor den Bedingungen, die sie so zugerichtet haben« (S. 22). 25 Jahre später sind (im achten Text) die Sympathien für Handkes Glaube, dass »das Heil« aus einer »Gegengeschichte [erwächst], die nichts anderes ist als das Ewige im Alltäglichen« (S. 91) schon deutlich zu spüren, wenn Hamm »tägliche Verrichtungen wie de[n] morgendliche[n] Griff zur Teekanne« zur »eigentliche[n] Substanz unseres Lebens« verklärt, »ohne die das Gewicht der Welt nicht zu ertragen wäre« (S. 91/92).
Handkes und Hamms Beharren auf der Bedeutung des Nebensächlichen, des »Nebendraußen« (ein Ausdruck, den Handke von Hermann Lenz entlehnt hat und der im Buch von Hamm immer wieder eine Rolle spielt), des Alltäglichen, des Unscheinbaren und des Leisen – dieses Beharren sieht Hamm bei Handke früh, zu schätzen lernt er es erst später – hat etwas Wohltuendes, Beruhigendes, Sympathisches, ja: auch etwas für soziale Zusammenhänge und für die Förderung eines humanen Zusammenlebens Zentrales, aber doch tendiert Hamm in seinen Texten über Handke aus den letzten 20 Jahren trotz aller Betonung, Handkes »radikale Verwerfung der Geschichte […] nicht mit Geschichtsblindheit zu verwechseln« (S. 147), dazu zu ignorieren, dass jeder »Griff zur Teekanne« einer ganzen Reihe von historischen Voraussetzungen bedarf, die beileibe nicht selbstverständlich und schon gar nicht »ewig« sind.
Man muss Hamms Urteile über Handke – unabhängig davon, aus welcher Zeit diese stammen – aber auch nicht teilen, um den Band wertzuschätzen, denn sowohl für Handke-Kenner*innen wie auch für jene, die mit dessen Werk nur wenig vertraut sind, findet sich vieles in diesem Band, das die Lektüre lohnt.