#Sachbuch

Der "Anschluß" als Sündenfall

Jürgen Egyptien

// Rezension von Klaus Kastberger

Dieses Buch ist Balsam auf die österreichische Barock-Seele: Ein 99tägiger Landregen kommt in Hans Leberts Roman Die Wolfshaut wie ein Strafgericht über die Provinz, übergelaufene Jauchegruben vermischen sich mit dem matschig-braunen Lehm der Vergangenheit, vom Wald bleibt nur mehr ein „Gerippe“, selbst die Berge tragen die „Farbe der Verwesung“. Der Himmel, zu dem dies alles anstinkt, lastet wie eine „Schieferplatte“ über einem kesselartig eingeschlossenen Dorf, das den bezeichnenden Namen ‚Schweigen‘ trägt. Bald zieht in der Höhe ein Geflecht von Adern auf, die Blase platzt, und eine „Springflut von Blut“ stürzt in die Tiefe.

Unten auf der Erde schreibt man das Jahr 1952, ein soeben heimgekehrter ‚Matrose‘ namens Johann Unfreund ist einem Verbrechen auf der Spur. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges war am Rande von ‚Schweigen‘ eine Gruppe von Zwangsarbeitern umgebracht worden. Das Dorf macht seinem Namen alle Ehre: Niemand will sich an den Mord erinnern, und doch liegt eine Höllenangst in der Luft. Wie ein Werwolf, der seine Opfer sucht (und einige von ihnen auch findet), schleicht die Schuld in der aufgeweichten Landschaft umher.

Jürgen Egyptien, der sich als ehemaliger Lektor des Europa-Verlages zu Beginn der 90er Jahre um die Wiederentdeckung von Hans Lebert die größten Verdienste erworben hat, legt nunmehr eine erste und richtungsweisende Monographie über Lebert und darin auch eine detailgenaue religiöse Deutung der Wolfshaut vor. Wer im Werk Leberts nach Metaphysik sucht, wird auch gar nicht lange suchen müssen. Schon in den frühen Gedichten sowie in den Erzählungen aus dem Band Das Schiff im Gebirge häufen sich gnostische Motive von Weltentleerung und Körperentwertung: Als ein Nichts aus Chaos und Kot liegt das Dorf Lur in einer wahrhaft „gottverlassenen“ Welt; in den Leibern der Frauen nistet das Böse, als eine ständige Fertilitätsdrohung steht den Männer deren Sexualreiz vor Augen.

Laut Egyptien folgt dieser negativen Genesis im Schaffen Leberts die Apokalypse seiner Romane: Während in ‚Schweigen‘ die Schuldigen der irdischen Gerechtigkeit entkommen, schlägt das überirdische Gericht um so bitterer zu. Das Erdendasein selbst und die verspielte Chance auf Erlösung ist die Strafe: Alles, was hier lebt, ist in Wahrheit längst tot; die Verwesung, die bei Lebert an allen Ecken, Enden und vor allem: Löchern zu riechen ist, trägt einen ontologischen Kern.

Mit großer Detailgenauigkeit und Überzeugungskraft meißelt Jürgen Egyptien diesen Kern existentieller Befindlichkeit aus dem Werk Leberts heraus und legt damit die komplexe Struktur der Bücher frei. Die Wolfshaut wird sich fortan nicht mehr auf den Antifaschismus reduzieren lassen, stellt sich doch der Nationalsozialismus hier weniger in seiner historischen Besonderheit, sondern als eine mögliche Emanation des Bösen in der Welt dar.

Jürgen Egyptien Der „Anschluß“ als Sündenfall. Hans Leberts literarisches Werk und intellektuelle Gestalt.
Wien: Sonderzahl, 1998.
301 Seiten, gebunden, mit Abbildungen.
ISBN 3-85449-115-8.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 08.09.1998

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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