Dass die Künste freilich daran Schaden nehmen sollen, dass sich das Interesse der Welt zukehrt, ist nicht leicht einzusehen. Der Romancier und polemische Essayist Robert Menasse stiftet in seinen 2005 gehaltenen, nunmehr in einem Bändchen gesammelt vorliegenden „Frankfurter Poetikvorlesungen“ jenes prekäre Geschwisterbündnis, das den Liebreiz der schöneren der beiden Schwestern (der Poesie) als den schlichten Ausweis der vermittelten Beziehung der ersteren zur Lebenswelt begreifen lehrt.
Menasse packt den Stier demgemäß bei den Hörnern. Er hält sich schon im Einleitungskapitel „Die Welt, in der ich schreibe“ nicht mit dem Ausplaudern so genannter Werkstattgeheimnisse auf, sondern macht sich ohne Säumen an die Rekonstruktion eines Begriffes des Individuums, dessen Leben er im Licht zeitgenössischer Wettbewerbsdogmatik als uneingelöstes Versprechen kennzeichnet.
Menasse geißelt plausibel die „Schicksalhaftigkeit“, mit der die angeblich naturwüchsigen Mechanismen der von allen Fesseln freigesetzten Marktwirtschaft das Leben vermeintlich „aufgeklärter“ Individuen nachhaltig verheeren. Das ökonomische Paradigma der „Konkurrenz“ habe den Begriff des „Widerspruchs“, so Menasse, umstandslos ersetzt. Jegliches zeitgenössische Engagement kranke freilich am Wegbrechen einer den Fortschritt befördernden „Klasse“, wie ehedem des Proletariats. Die Verhältnisse, wie elend auch immer, scheinen gegenwärtig auf „Verewigung“ angelegt. Und so bedarf es vonseiten Menasses einiges unsystematischen Aufwandes, um im Lichte untröstlicher Einsichten einerseits eine Zukunftsperspektive offen zu halten („Ganz Europa erweist sich heute als ein apokryphes marxistisches Projekt!“), die andererseits auch den Ansprüchen einer wie immer gearteten Literarizität genügt.
Menasses Vorlesungsreihe, die nicht unelegant vom Gräberfeld der Aufklärung auf den bürokratischen Schauplatz Brüssel hinübertänzelt, lässt sich vielleicht als Provisorium verstehen, als Vorgriff auf eine Zukunft, die, wenn sie „gut“ sein soll, eine (auch) literarische zu sein haben wird. Er setzt auf eine Selbstermächtigung vieler gegängelter Individuen und erinnert somit nolens volens an den „multitude“-Begriff der „Empire“-Forscher Negri und Hardt. Dass dieser einem vorderhand uneingelösten Wechsel gleicht, tut der Triftigkeit der Analyse keinen Abbruch.
Es wird vielleicht darauf ankommen, einen Literaturbegriff zu entwickeln und zu schärfen, der die Schrift als blank poliertes Werkzeug versteht, das das verrottete „Ganze“ im Modus der Kneifzange angreift: Letzteres natürlich in der doppelten Wortbedeutung! Daran erinnert zu haben, nimmt einen für den öffentlichen Denker Menasse unbedingt ein.