Der vorliegende Band plädiert vom Konzept her für eine europäische Einheit, die gleichzeitig als eine solche zwischen bildenden Künsten, Philosophie, Malerei, Literatur, Natur- und Sozialwissenschaft gedacht wird. Wir finden hier also eine gründliche Einführung in die Physik der Jahrhundertwende, und Horst Kern stellt das unterschiedliche Herangehen Emil Durkheims, der soziale Phänomene für eine Wirklichkeit sui generis hielt, die nur durch soziale Kategorien erläutert werden könne, und Max Webers vor, der soziale Gebilde als Resultate des spezifischen Handelns Einzelner ansah.
Eine Arbeit von Uwe Diederichsen informiert über die Entstehungsgeschichte des BGB, und Brigitte Schultze analysiert die polnischen zeitgenössischen Verarbeitungen des Prometheus-Mythos in Polen.
In diesen kleinen Monographien von Fachwissenschaftern entstehen neue Bilder von „Vernetzungen“: etwa in der von Fritz Paul behandelten Beziehung zwischen August Strinderg und Edvard Munch oder in dem seit der Neupublikation von Ernst Haeckels Kunstformen der Natur vieldiskutierten Zusammenhang zwischen den Darstellungen des Naturforschers und dem Jugendstil.
Aus der Lektüre des Bandes entsteht ein sehr vielschichtiges Bild des geistigen Lebens der letzten Jahrhundertwende, das aber gleichzeitig mehrere Fragen aufwirft: wie weit geht Europa, und reicht es wirklich, die grundsätzliche antibürgerliche Stimmung des Zeitgeistes an André Gides nietzscheanisch inspiriertem Roman Der Immoralist festzumachen und in keinem Beitrag die Kulturbewegung der Sozialdemokratie zu behandeln? Vor allem aber: Wie verhalten sich diese ohne Zweifel interessanten Arbeitsergebnisse zu jenen grundsätzlichen Aussagen über die Jahrhundertwende, von denen die Forschung bisher ausgegangen ist? Gelegentlich werden generelle Aussagen getroffen, etwa in der Arbeit Theodor Wolpers über den Kult des Augenblicks bei Wilde, Conrad und Joyce. Die Augenblicksorientierung als solche, meint der Autor, hätte zu einer Relativierung und Subjektivierung religiöser und moralischer Maßstäbe geführt. Die Stimmung von „Ende und Wende“, die als ein konstitutives Element der Mentalität der letzten Jahrhundertwende gilt, ist zumindest partiell mit den von Norbert Elsner beschriebenen Entwicklungsideen des Naturforschers Ernst Haeckel kompatibel; Picassos Desmoiselles d’Avignon können mit Carsten-Peter Warncke als repräsentatives Dokument des Zeitgeistes betrachtet werden, als Versuch einer Synthese „traditionalistischer Verfahrensweisen der Kunstgeschichte mit Errungenschaften der damals noch jungen avantgardistischen Kunst“. Doch die Mehrzahl der AutorInnen des Bandes bewegt sich innerhalb der Grenze ihres Fachgebietes, in das ihnen Laien nur schwer zu folgen mögen und enttäuschen damit die Hoffnungen auf ein neues kohärentes Bild, die der Titel der Publikation geweckt hat.