Dem ausgewogen zusammengestellten Band mit 16 Aufsätzen ist ein äußerst profunder und kenntnisreicher Überblick zur Autorinnnengeschichte vorangestellt, in dem Tebben einen weiten Bogen weiblicher Schreibtätigkeit zwischen Naturalismus und Expressionismus spannt und darin so unterschiedliche Autorinnen wie u. a. Helene Böhlau, Hedwig Dohm, Marie von Ebner-Eschenbach, Minna Kautsky, Isolde Kurz, Enrica von Handel-Mazzetti, Ricarda Huch, Gabriele Reuter, Franziska zu Reventlow und Bertha von Suttner positioniert. Durch eine thematische wie zeitliche Bündelung und Systematisierung weiblichen Schreibens innerhalb der literarischen Strömungen der Jahrhundertwende wird eine große Bandbreite an weiblichen Aufbrüchen sichtbar, ohne jedoch dabei jene Mängel und Grenzen weiblichen Schreibens auszusparen, die als Folge patriarchaler Ausgrenzungsstrategie zu werten sind.
Der erstgereihte Aufsatz von Elke Maria Clauss zu Lou Andreas-Salomé und ihrer Position als Wiener Salondame, Muse und äußerst produktiver Autorin (zu Lebzeiten erschienen 17 Bücher) ist ein ausgezeichneter Einstieg in die prinzipiellen Möglichkeiten weiblich-bürgerlicher Karrieren um 1900. Clauss interpretiert das Leben Lou Andreas-Salomés als paradigmatische „Musenexistenz in der Moderne“, die sich ihren Ruf als „Freundin großer Männer“ wie Nietzsche und Rilke mit auf diese Autoren rückbezüglichen Werken zu „erschreiben wußte“ (S. 66).
Gleichzeitig ist sie aber auch erstmals feinfühliges Sprachrohr jener neurasthenischen Frauenfiguren, die um die Jahrhundertwende an den starren Grenzen bürgerlich-patriarchaler Rollenzuweisung zu zerbrechen drohten. Der am Ende des Bandes gereihte Beitrag zu Franziska von Reventlow (von Katharina von Hammerstein) – die Anordnung der Aufsätze scheint etwas willkürlich – führt nun vor, wie die Verweigerung bürgerlicher Lebensnormen eine künstlerische Frau einerseits zur Literarisierung der privaten Rebellion führen kann und ein selbstbehauptetes Leben ermöglicht. Im Akt des Widerstandes gegen das patriarchale Sprechen und durch die Beteiligung am kollektiven Diskurs wurde, so Hammerstein, Reventlow deshalb „ihrer selbst zum Trotz“ (S. 290) auch politisch wirksam.
Die Prostituiertenromane von Margarete Böhme (Tagebuch einer Verlorenen, 1905) und Else Jerusalem (Der heilige Skarabäus, 1909), stehen für einen weiteren mehrfachen Tabubruch aus weiblicher Feder: Sie thematisieren das gewaltvolle sexuelle Verhältnis der Geschlechter, literarisieren Anliegen der radikalen Frauenbewegung und erreichen so, wie Eva Borst es formuliert, „einen subversiven Diskurs über die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen“ (S. 133). Pionierleistung spricht auch Heidy Margrit Müller der zu Lebzeiten vielgelesenen Arbeiterschriftstellerin Minna Kautsky zu, die in Anlehnung an die bürgerliche Unterhaltungsliteratur das soziale Elend der Arbeiterschaft literarisch eindrucksvoll zu gestalteten wußte.
Das Werk der nahezu vergessenen Maria Janitschek entzieht sich nach der subtilen Werkanalyse von Theresia Klugsberger und Sigrid Schmid-Bortenschlager einer eindeutigen Zuordnung und sozialkritischen Interpretation. Zwar sicherte sie sich mit dem bis heute vielfach abgedruckten Gedicht Ein modernes Weib (1889) den Ruf als sozial engagierte Autorin der Jahrhundertwende. Daneben ist Janitschek aber auch Autorin von Romanen, in denen die religiös-mystischen Tendenzen um 1900 künstlerisch so gestaltet werden, daß sie letztlich zu vielschichtigen Prozessen der Subjektwerdung führen und vielfach in eine „mystische Erfüllung im Tod oder in der unio mystica mit Gott“ (S. 193) münden.
Im Kontext dieser Beiträge wird auch verständlich, warum Helmut Koopmann eine derart schonungslose Abrechnung mit den im restaurativen Österreich der Nachkriegsjahre zur Pflichtschullektüre erhobenen Werken von Marie von Ebner-Eschenbach vornimmt. Seine Analyse mündet in die Frage, warum die Autorin einfach nicht die neuen literarischen Strömungen ihrer Zeit als „literarischen Befreiungsfeldzug“ nutzen konnte/wollte und beharrlich bei ihren altmodischen Dorfgeschichten verblieb. Überhöhtes Standesbewußtsein und falsch verstandenes soziales Engagement ortet er als Ursache für das Stigma des „erzählerischen Epigonentums“ (S. 175), das heute der adeligen Vielschreiberin anhaftet. Gleichfalls als Spiegel der Zeit sieht Bernhard Doppler die christliche Erbauungsliteratur von Enrica von Handel-Mazetti und wirft ihr vor, sich allzu „selbstvergessen in vergangene Zeiten“ zu versenken (S. 239). Daß auch eine allzu forcierte Aufnahme von Zeitgeistigem im eigenen Schreiben der Allgemeingültigkeit und Aktualität von Texten abträglich sein kann, versucht Edelgard Biedermann in ihrem klugen Aufsatz zu Bertha von Suttner darzustellen.
Dieser sorgfältig edierte Sammelband erfüllt gemeinsam mit weiteren Neuerscheinungen der letzten Jahre zur Frauenliteratur der Jahrhundertwende (z. B. Das alles war ich. Politikerinnen, Künsterinnen, Exzentrikerinnen der Wiener Moderne, hrsg. v. Frauke Severit, 1999) in souveräner Art und Weise den Anspruch nach einer ‚anderen‘ Literaturgeschichte. Zu wünschen wäre allerdings, daß es sich in einem nächsten Jahrhundert erübrigen möge, über Mitbestimmung und Partizipation von schreibenden Frauen im literarischen Geschehen eigens Buch zu führen.