#Sachbuch

Freud in der Presse

Marina Tichy, Sylvia Zwettler-Otto

// Rezension von Ulrike Diethardt

Die Feststellung Sigmund Freuds, die Psychoanalyse sei in ihren Anfängen ignoriert – und wenn dies ausnahmsweise nicht geschah – „mit höhnischer oder mitleidiger Überlegenheit“ (zit. n. S. 17) zurückgewiesen worden, und dies ganz besonders in Wien, wurde lange und wird zum Teil heute noch unhinterfragt als richtig kolportiert. Erst eingehende Rezeptionsstudien konnten dieses Bild relativieren. Marina Tichy und Sylvia Zwettler-Ottler unternahmen dies nun für Österreich, i. E. für Wien, in dem sie zwei Wiener medizinische Wochenschriften, die Neue Freie Presse, die beiden Kulturzeitschriften Die Wage und Die Zeit, Dokumente der Frauen und das Nachfolgeblatt der bürgerlichen Frauenbewegung, Neues Frauenleben, und schließlich Die Fackel von Karl Kraus nach Dokumenten zur Rezeption der Psychoanalyse untersuchten. Mit dieser Auswahl kann die Untersuchung – sie beginnt 1895, dem Jahr, in dem Freud und Breuer ihre Studien über Hysterie veröffentlichten, und endet 1938 mit der Zerschlagung der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung – nun leider nur einen Überblick über die Freud-Rezeption der Ärzteschaft und des liberalen Bürgertums geben, da wichtige Medien wie etwa die klerikale Reichspost und jene aus dem sozialdemokratischen bzw. austromarxistischen Umfeld fehlen.

Dennoch – die beiden Autorinnen haben eine Fülle von Texten, die die Psychoanalyse rezipieren, bis hin zu Ankündigungen von Vorträgen oder Neuerscheinungen, Berichterstattungen über die Person Freud und Belegstellen für das Einfließen der Psychoanalyse in die Kunstkritik oder Gerichtssaal-Reportagen aufgefunden. Erstaunlich, daß in Dokumente der Frauen, jener von Auguste Fickert, Rosa Mayreder und Marie Lang, Vertreterinnen des radikalen Flügels der österreichischen bürgerlichen Frauenbewegung, von 1899 bis 1902 herausgegebenen Zeitschrift sich keine einzige Erwähnung der Psychoanalyse findet, und das, obwohl Sexualtheorien und Fragen der Geschlechterdifferenz durchaus zu den Themen der Zeitschrift zählten. Und auch in der Nachfolgeschrift Neues Frauenleben finden sich lediglich 11 Texte. Dem stehen die immerhin 71 Fundstellen in Die Wage oder nahezu 600 in der Neuen Freien Presse gegenüber. Der Versuch der Autorinnen, die Artikel inhaltlich anhand einer Positiv/Negativ-Skala zu klassifizieren, mußte aufgegeben werden – als zu ambivalent stellte sich die Auseinandersetzung mit dieser sich gerade entwickelnden Disziplin heraus, selten war ein Autor bereit, Freud bis in die Grundfesten seiner Theorien zu folgen, häufig wurde er mißverstanden, gar nicht selten wurden psychoanalytische Begriffe im Alltagsjournalismus verflacht. Die Autorinnen lassen es nicht dabei bewenden, die Fundstücke als solche darzustellen, sondern beziehen die sozialen und politischen Verhältnisse, unter denen diese Belegstellen entstanden sind, die biografischen Hintergründe der Autoren, die gar nicht selten Mitglieder oder ehemalige Mitglieder der Psychoanalytischen Vereinigung waren und die Entwicklung dieser Vereinigung selbst in ihre Interpretation mit ein. Deutlich wird, daß in den Anfängen ganz ähnlich wie heute der Psychoanalyse Widerstand entgegengesetzt wurde, daß immer wieder versucht wurde, ihr ihre Substanz zu nehmen, sie zu entschärfen. Von hier aus wird Freuds Behauptung der Ignoranz und der Ächtung wiederum verständlich.

Andererseits zeigt es sich, daß die Person Freud in der Neuen Freien Presse v. a. in den zwanziger Jahren zur Prominenz gezählt wird, über die nicht nur anläßlich von Geburtstagen (so stammt eine Hommage zu Freuds 70. Geburtstag von Stefan Zweig) oder Ehrungen berichtet wird, sondern durchaus auch darüber, daß er neben anderen illustren Herrschaften „auf dem Semmering Aufenthalt genommen“ (S. 126) hat. Daß die Existenz der Psychoanalyse bereits zum Basiswissen gezählt wurde, macht eine Kuriosität am Rande deutlich – so lautete die siebente von fünfundzwanzig Rätselfragen, die die Neue Freie Presse ihren Lesern im Jahr 1928 stellte: „Welcher Arzt hat durch seine Lehre die moderne Literatur am entscheidensten beeinflußt?“ (S. 127)

Die epochale Bedeutung der Psychoanalyse wurde gerade von Schriftstellern immer wieder betont. Einen Höhepunkt der Beziehungen zwischen Psychoanalyse und der Literatur bildete 1930 die Verleihung des Goethe-Preises an Freud, über die ausführlich in der Presse berichtet wurde. Der Festakt in Frankfurt wurde im österreichischen Hörfunk übertragen. Im selben Jahr unterzeichneten dreißig Schriftsteller einen Antrag auf Verleihung des Nobelpreises an Freud, unter ihnen Thomas Mann, Alfred Döblin, Ernst Weiß, Virginia Woolf, Franz Werfel. In Karl Kraus allerdings sollte die Psychoanalyse, nicht unbedingt Freud selbst, den er immer wieder gegen seine Schüler abhob – besonders auch in ihrer Anwendung auf die Kunst und den Künstler – einen erbitterten Gegner finden. „Nervenärzten, die uns das Genie verpathologisieren, sollte man mit dessen gesammelten Werken die Schädeldecke einschlagen“ (zit. n. S. 268), schrieb er 1908 in einer von 158 Texten des untersuchten Zeitraums. In den Jahren zuvor hatte Freud in Kraus zunächst noch einen potentiellen Mitstreiter gesehen.

Die Studie belegt ein facettenreiches Bild der Rezeption, das neben (pauschaler) Ablehnung der Psychoanalyse auch Aufgeschlossenheit, Interesse und Diskussionsfreude zeigt.

Das ausführliche Register des Bandes nennt die Textsorten der Belegstellen und ist mit Schlagworten versehen. Insofern wird diese Studie auch als Nachschlagwerk dienen.

Marina Tichy, Sylvia Zwettler-Otte Freud in der Presse. Rezeption Sigmund Freuds und der Psychoanalyse in Österreich 1895 – 1938.
Mit einem Vorwort von Harald Leupold Löwenthal.
Wien: Sonderzahl, 1999.
406 Seiten, gebunden.
ISBN 3-85449-131-X.

Verlagsseite mit Informationen über das Buch

Rezension vom 02.02.2000

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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