#Sachbuch

Romantik, Revolution und Reform

Justus H. Ulbricht, Meike G. Werner (Hg.)

// Rezension von Jürgen Thaler

Mit kaum einem anderen Verlag verbindet man den im Umfeld des Soziologen Alfred Weber entworfenen Begriff des „Kulturverlags“ wie mit dem 1896 gegründeten Eugen Diederichs Verlag in Jena. Eugen Diederichs gehörte zudem zu jenen im kulturellen Gedächtnis verankerten Verlegernamen wie Samuel Fischer oder Anton Kippenberg. Nicht nur dies: Diederichs, der den Verlag in den zwanziger Jahren an seine beiden Söhne abgetreten hatte, steht ein für eine „Weltanschauung“, die sich vor allem im Deutschland dieser Zeit herausgebildet hat und die eine bestimmte Nähe zu jenem Denken pflegte, deren Vertreter unter dem Sammelbegriff „konservative Revolutionäre“ zusammengefaßt werden. Die Tat. Monatszeitschrift für die Zukunft deutscher Kultur nannte sich die Programmzeitschrift des Verlags, die in den Jahren 1909 bis 1939 erschien und ein wichtiges Medium in der intellektuellen Debatte dieser Zeit war.

Die Lebensdauer von Zeitschrift und Verlag weisen auf einen kritischen Aspekt der Verlagsgeschichte hin: er überstand alle politischen Machtwechsel. Das macht die Beschäftigung mit dem Verlag, der als sein Symbol den Löwen verwendet hat, für epochale Untersuchungen zu einem geeigneten Gegenstand. Etwa dann, wenn es darum geht, zu erforschen, wie sich die schon genannten konservativen Revolutionäre nach 1933 politisch verhalten haben.

Nur nach dem Ende der Herrschaft der Nationalsozialisten gelang es dem Verlag nicht, in der damaligen sowjetischen Besatzungszone eine Verlagslizenz zu bekommen. Durch eine Verlagerung der Aktivitäten nach Düsseldorf und Köln konnte der Diederichs Verlag seine Tätigkeit wieder aufnehmen, bis er zu Beginn des Jahres 1988 vom Münchner Großbuchhändler Hugendubel übernommen wurde, der ihn elf Jahre später seinem eigenen Verlag einverleibte. Der Eugen Diederichs Verlag ist also in mehreren Epochen deutscher Geschichte anzutreffen. Kaiserreich, Weimarer Republik, Drittes Reich und die Bundesrepublik Deutschland kannten je ihren eigenen Diederichs Verlag. Daß dessen Name knapp vor dem Ende der ehemaligen DDR aus dem Verlagsleben verschwand, kann durchaus als Symptom gesehen werden. Ging mit der Wiedervereinigung ein Stück deutscher Geschichte zu Ende so mit dem Diederichs Verlag ein Stück deutscher Kulturgeschichte.

Der anzuzeigende Aufsatzband widmet sich nur indirekt der Verlagsgeschichte. Dies ist auch gut so, denn solche Untersuchungen sind, gerade in Form von Sammelbänden, schon seit längerem verfügbar. Der Sammelband Romantik, Revolution und Reform. Der Eugen Diederichs Verlag im Epochenkontext basiert auf einer Tagung, die 1996 aus Anlaß des hundertsten Geburtstags des Verlags in Jena veranstaltet wurde. Ziel des Bandes, so heißt es in der Einleitung, sei es nicht, eine „Verlags- oder Verlegergeschichte im klassischen Sinne […] vorzulegen, sondern ein Versuch der Kontextbestimmung, der Verortung kulturreformerischer Diskurse, für die der Verleger selbst, sein Verlag, aber auch zahlreiche seiner Autoren und Freunde mit ihren Äußerungen und Aktivitäten stehen können.“ (S. 11) Der Eugen Diederichs Verlag soll demnach im jeweiligen Epochenkontext positioniert werden. Dies gelingt den Autoren auf unterschiedliche Weise. Auffallend ist, daß die namhaften Beiträger des Bandes eher allgemein gehaltene Aufsätze abliefern, während die Arbeiten von jungen und unbekannten Wissenschaftler sich in die arbeitsintensive Klein- und Archivarbeit stürzen.

Eingeleitet wird der Band von Studien, die Gangolf Hübinger, Stefan Breuer und Klaus Lichtblau verfaßt haben und in denen Programm und Verleger mit den kulturellen Tendenzen ihrer Zeit abgeglichen wird. Einen brauchbaren Begriff, um die vielfältige Tätigkeit des Verleger zu bezeichnen, liefert Stefan Breuer, wenn er die basale Ausrichtung von Denken und Handeln Eugen Diederichs als der „einfachen Moderne“ zuordnet und so definiert: „Diederichs Orientierung an der einfachen Moderne, in der der Professor noch etwas galt, die Proleten noch nichts zu sagen hatten und die Frauen noch Frauen waren, ’silberne Schalen, in die Männer goldene Früchte legen‘, ist auch der Schlüssel für seine […] Breitschaft, seinen Verlag für fundamentalistische Strömungen zu öffnen. Diese Bereitschaft entsprang einer instrumentell-strategischen, keiner identifikatorischen Einstellung. Diederichs erhoffte sich keine generelle Wiederverzauberung der entzauberten Welt und hatte auch nicht vor, Struktur in Antistruktur zu verwandeln. Was er wollte, war die Wiederherstellung und Erneuerung der einfachen Moderne, und um deren Struktur zu sichern, war er bereit, sich so ziemlich mit allem zu verbünden, was es damals an lebensreformerischen und idealistischen Suchbewegungen gab. Wie ein antiker Stratege sammelte er hier seine Hilfsvölker: Gartenstadtenthusiasten und Körperkulturfetischisten, Jungbuchhändler und Wandervögel, Volkstümler und Sozialaristokraten, weniger ein entrepreneur of ideology denn ein entrepreneur of movements.“ (S. 49f.)

Im folgenden gehen Klaus Lichtblau und Peer Kösling den Selbsteinschätzungen des Verlegers als Neuromantiker nach. Gerade Lichtblau versteht es in seinem Beitrag, die kulturelle Ambivalenz des Unternehmens von Diederichs zu analysieren, indem er sie mit anderen Konzepten und Traditionen von Modernität unter dem Fokus von Neuromantik und Romantikkritik vergleicht. An diese beiden Aufsätze schließen zwei sehr informative Arbeiten über das Engagement Diederichs in der Volkshochschulbewegung an. Fortgesetzt wird mit einem Aufsatz über die im Verlag erschienene Tolstoiausgabe. Der Weg ist damit geebnet für einen Bereich, dem man eigentlich mehr Platz gewünscht hätte: dem Zusammenhang zwischen Religion und Kultur, der in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auf unterschiedliche Weise neu gedacht wurde. Diederichs schreibt darüber, daß er „an Stelle der Weltanschauung das Wort ‚religiöse Kultur‘ prägen müsse“ (S. 160). Der umfangreiche Aufsatz von Meike G. Werner und jener von Julia Zernack sind Glanzlichter in diesem Band. Behandelt der eine die Biographie Diederichs anhand seiner Beziehungen zum anderen Geschlecht, so erforscht Julia Zernack den omnipräsenten Topos des Nordens in den Reiseplänen und Kulturtheorien der Intellektuellen des ersten Drittels des zwanzigsten Jahrhunderts. Abgerundet wird der Band mit zwei Aufsätzen, die den Verlag während der NS-Zeit zu fassen versuchen, einmal generell anhand von Zahlen und Programmen und dann anhand der Beziehung eines einzelnen Autors zu seinem Verlag. Schließlich kann man sich noch von Ulf Diederichs, der die Geschicke des Verlags bis zur Übernahme durch Hugendubel geleitet hat, schildern lassen, wie der Verlag nach 1945 wieder Fuß gefaßt hat.

Es wäre eine reizvolle Aufgabe, die Geschichte der deutschen Literatur anhand ihrer Verlage und Zeitschriften zu rekonstruieren. Dem Eugen Diederichs Verlag, den Max Weber 1917 als „Warenhaus für Weltanschauungen“ bezeichnete, wäre darin ein wichtiges Kapitel einzuräumen. Manche der im vorliegenden Band veröffentlichten Aufsätze können als Prolegomena zu einem solchen Unternehmen gesehen werden.

Justus H. Ulbricht, Meike G. Werner (Hrsg.) Romantik, Revolution und Reform. Der Eugen Diederichs Verlag im Epochenkontext 1900 – 1949.
Göttingen: Wallstein, 1999.
359 Seiten, broschiert, mit Abbildungen.
ISBN 3-89244-344-0.

Rezension vom 23.02.2000

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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