Höllers Arbeit beginnt mit dem „Testament“ und dessen Auslöser, dem Skandal um Heldenplatz. Obwohl auch Hoell über die „angeheizte“ politische Atmosphäre nach der Wahl Kurt Waldheims berichtet, den er bedauerlicherweise zu einem „SS-Offizier, der für Erschießungskommandos auf dem Balkan verantwortlich war“ ernennt, hat sich in den seit Höllers 1993 publizierter Monographie verstrichenen Jahren die Optik auf die Bernhardsche Biographie geändert. Die Rezeption beginnt ganz offensichtlich Bernhard von seinem negativen österreichischen Hintergrund zu lösen, diese „Deregionalisierung“ kann – vorsichtig formuliert – dem „Weiterleben“ Bernhards als internationaler Autor nur nützen. Für Hoell steht der Aspekt der „Selbstbehauptung“ in der Prosa und den Theaterstücken zentral, Österreich mit allen seinen Widrigkeiten ist ihm nur mehr ein Anwendungsfall einer allgemeinen Problematik. Neues Material ist aufgetaucht, die letzten Tage Bernhards sind genau dokumentiert und Hoell bringt auch einige bisher unbekannte Fotografien, über die sich jeder Leser freuen wird – etwa eine mit Marianne Hoppe in Torremolinos kurz vor Bernhards Tod oder eine von Bernhards erstem Automobil.
In summa ergänzt die Arbeit Hoells die bisherige biographische Literatur Bernhards trefflich und gibt daneben eine knappe Einführung in die wesentlichen Teile des Werkes. Das schließt allerdings nicht aus, dass man bei der Lektüre ein intensives Bedauern darüber verspürt, dass es keine „große“ Bernhard-Biographie gibt und in absehbarer Zeit auch nicht geben wird. Trotz Louis Huguets Chronologie, die leider ab den sechziger Jahren an Dichte verliert, und mehrerer neuerer Publikationen wie etwa dem vollständigen Hennetmair-Tagebuch und dem Katalog zur derzeit laufenden Ausstellung „Thomas Bernhard und seine Lebensmenschen. Der Nachlaß“ ist unser Bernhard-Bild noch immer lückenhaft und in vielen Bereichen, die nicht skandalisiert waren, farblos. Hier wäre Eile geboten, denn viele Menschen, die uns helfen könnten, diese Lücken zu schließen, werden nicht mehr lange als Zeugen zur Verfügung stehen.