Man kann schön beobachten, wie sich in Bernhards „autobiografischem Projekt“, den fünf Bänden Die Ursache, Der Keller, Der Atem, Die Kälte und Ein Kind, Motive, Haltungen und Strategien zur Bewältigung der Welt sowohl literarisch als auch persönlich herauskristallisieren. Mitherausgeber Manfred Mittermayer reflektiert diese Strategien in seinem Aufsatz und zeigt an Textbeispielen auf, wie sich das Ich gegen eine feindliche Umwelt durchzusetzen beginnt, wie am Krankenbett literarische Allmachtsphantasien entstehen und im später häufig auftauchenden Bild des gottgleichen Theaterdirektors Ausdruck finden. Es geht in weiterer Folge auch darum, wie sich das Bild von Salzburg und damit auch von dem, was Literatur zu leisten hat, verändert, wie sich Bernhard von seinem Vorbild, dem Heimatschriftsteller und geliebten Großvater, Johannes Freumbichler frei schreibt. Renate Langer behandelt in ihrem Aufsatz „Erbe, Erde, was war das immer?“ den Widerspruch im Werk Freumbichlers, der mit zunehmendem Alter zwar ein immer verbissenerer Heimatideologe wurde, in dessen Romanen die Heimat selbst aber immer mehr von Sonderlingen, Krüppeln und Kriminellen bevölkert war.
Salzburg ist, retrospektiv betrachtet, für Thomas Bernhard eine Art Übungslabor gewesen. Bei den Salzburger Festspielen hat er erste große Theatererfolge und, nicht zu vergessen, erste Theaterskandale verzeichnen können. Bernhard hat hier gelernt – und wo sollte man das besser lernen, als im konservativ-repräsentationssüchtigen Salzburg? – wie geschickt und mit welcher Lust man einen Skandal inszenieren kann. Diese frühe Einübung ins Genre Skandal kann man detailliert in Karl Ignaz Hennetmairs Ein Jahr mit Thomas Bernhard nachlesen, und überspitzt betrachtet kann man sogar sagen, Heldenplatz wäre ohne Der Ignorant und der Wahnsinnige mit seinem legendären Notlichtskandal nicht möglich gewesen. Es war nicht nur bei den Salzburger Festspielen, wo Bernhard erstmals die Mechanismen einer öffentlichen Erregung auf dem Theater steuern, sondern hier hat er auch erstmals das Potential des jungen Regisseur Claus Peymann kennen gelernt und bewußt eingesetzt, um seinen Stücken auf der Bühne den nötigen musikalischen Raum zu geben und zugleich außerhalb des Theaters für die gesellschaftliche Resonanz zu sorgen. Der „Briefwechsel zwischen Thomas Bernhard und Josef Kaut“, der erstmals vollständig nachzulesen ist, gibt Einblick wie wichtig Bernhard diese Uraufführungen waren („Das Landestheater ist für mich das schönste Theater der Welt“), zugleich, wie selbstbewußt und rigoros Bernhard eine „hundertprozentige“ Zusammenarbeit „auf einer ganz klaren Vertrauensbasis“ vom wankelmütigen Kaut einfordert. Und man kann beobachten, wie ein typischer Bernhard-Mechanismus funktioniert, wie auf den totalen Bruch kurzerhand eine freundliche Wiederannäherung folgt.
Es wird wohl in der Bernhard-Forschung, das macht dieses Buch deutlich, in Zukunft verstärkt darum gehen, über 10 Jahre nach Bernhards Testament, neue Materialien wie frühe, bisher nur verstreut oder überhaupt unveröffentlichte Texte, Briefe, etc zu erschließen und interpretatorisch ins Gesamtwerk einzubinden. Einige der in Thomas Bernhard und Salzburg versammelten Texte liefern schon jetzt Material dazu – zum Beispiel 13 seiner frühesten meist in Zeitungen erschienen Erzählungen.