#Sachbuch

Der Inselgarten

Reinhard Andress

// Rezension von Deborah Vietor-Engländer

Es gibt noch Neuland und Platz für Entdeckungen in der Exilforschung: dieses Buch ist der Beweis dafür. 1999 besuchten 3,5 Millionen deutsche Touristen die Insel, doch wer wußte vom dortigen deutschsprachigen literarischen Exil? Ziel der Untersuchung, schreibt der Verfasser, ist es „das Kapitel Mallorca in der Geschichte der deutschen Exilliteratur zu schreiben.“ (8) Und es gelingt ihm, mit unbekanntem Material: unveröffentlichten Briefen, Tagebüchern, Dokumenten aus Nachlässen, Grundlagenforschung im besten Sinne. Es geht um sieben verstorbene und einen noch lebenden Schriftsteller: Herbert Schlüter. Die anderen: Franz Blei, Karl Otten, Harry Graf Kessler, Martha Brill, Erich Arendt und Klaus Mann. Obwohl Klaus Mann nur sehr kurz in Mallorca blieb „ein Mosaiksteinchen im Muster der langen Exilzeit“ (135) ging die Insel-Idylle stark in den Vulkan ein (138-141). Einige der anderen blieben bis zum Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges und ihre Aufenthalte gingen stark in ihre späteren Werke ein, so in Karl Ottens Torquemadas Schatten (92-101) und der von Hans Werner Richter als „Emigrantendeutsch“ (19) abgetane bedeutende mallorquinische Roman Die Insel des zweiten Gesichts von Albert Vigoleis Thelen, in den fünfziger Jahren entstanden. Die Verfasser dieser Rezension hält Siegfried Lenz’s Vergleich dieser Satire auf den Nationalsozialismus mit Cervantes für zutreffender (18).

Im November 1933 nahm Harry Graf Kessler, der älteste der hier behandelten Autoren, mit 65 Jahren Wohnsitz in einem Vorort Palmas (35). Er war im März 1933 von einer Frankreich-Reise nicht nach Deutschland zurückgekehrt. Er blieb bis Ende Juni 1935 in Mallorca, sein Aufenthalt ist durch siebzehn Tagebucheintragungen und zahlreiche ausführliche Briefe dokumentiert (40).

Ein sehr wichtiges Kapitel betrifft den 1871 in Wien geborenen Franz Blei. Blei war von polnischer und schwedischer Herkunft und hatte außer in Wien in Paris, Zürich, den USA, München und Berlin gelebt. Sein bekanntestes Buch, Das große Bestiarium der modernen Literatur (1920) karikierte die großen europäischen Schriftsteller der Zeit (67). Aber wie Andress treffend ausführt, hatte Blei, ohne Jude zu sein, die Gefahr der nationalsozialistischen Rassentheorie besonders für die Juden sehr früh erkannt, und 1928 in der Weltbühne definiert (81). Seine Bücher wurden 1933 in Deutschland verboten. Da war er bereits in Mallorca, wo er sich im Fischerdorf Cala Ratjada an der Nordostküste niederließ (68). Hier konnte er, wie später Otten und Schlüter, sehr preisgünstig leben. Er litt zwar unter der Isolation, blieb trotzdem solange er konnte und floh mit dem gleichen britischen Kriegsschiff wie die Thelens (73).

Zunächst kehrte er als Österreicher nach Wien zurück, floh aber nach dem Anschluß sofort weiter nach Florenz. Dort erhielt er ein Stipendium der American Guild for German Cultural Freedom für März, April und Mai 1938 (s. Anm. 1). Dort beteiligte er sich am Preisausschreiben der American Guild mit dem unvollendeten Roman Das Trojanische Pferd unter dem Pseudonym Albrecht Pillersdorff (Anm. 2). Er gewann ihn nicht. Annette Kolb half ihm finanziell 1939 nach Frankreich zu gelangen, nach dem Waffenstillstand 1940 erwirkte die American Guild ein Visum für die USA für ihn (Anm. 3). In den USA war er weiterhin auf die Hilfe von Annette Kolb, der American Guild und andere angewiesen, er starb dort zwei Jahre später (10. Juli 1942). Andress schildert zu Recht das mallorquinische Exil als „relative Idylle“in Bleis Leben, die auch literarisch produktiv war (76-7).

Bei allen behandelten Schriftstellern außer Kessler „schlugen sich die Exilerfahrungen auf der Insel auch nach der Zeit dort sehr direkt in ihrem literarischen Schaffen nieder“ (172). Und in keiner anderen Region Spaniens lebten vor 1936 so viele deutschsprachige Exilschriftsteller wie in Mallorca. Andress ist es gelungen, das ungeschriebene Kapitel Mallorca in der deutschen Exilforschung und „damit auch einen wenig bedachten kulturhistorischen Aspekt Mallorcas anschaulich gemacht zu haben“ (176).

Anmerkungen:
1. List of Scholarship Awards abgebildet in „Deutsche Intellektuelle im Exil. Ihre Akademie und die ‚American Guild for German Cultural Freedom'“. Katalog der Ausstellung der Deutschen Bibliothek, München 1993. S. 127.
2. Op.cit. Anm. 1, S.380.
3. Op.cit. Anm. 1, S.438.

Reinhard Andress Der Inselgarten. Das Exil deutschsprachiger Schriftsteller auf Mallorca, 1931-1936.
Amsterdam: Rodopi, 2001.
196 Seiten, broschiert.
ISBN 90-420-1465-2.

Rezension vom 17.08.2001

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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