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Hermynia Zur Mühlen

Manfred Altner

// Rezension von Evelyne Polt-Heinzl

Manfred Altner versucht in der Rekonstruktion des „äußeren Lebenslauf[s] der Herminia Isabella Maria Folliot de Crenneville (1883-1951) [..] auch den Prozeß ihrer inneren Wandlung zu verdeutlichen“ (S. 9). Als Tochter einer altösterreichischen Familie mit langer Tradition in der aristokratischen Diplomatie in Wien geboren, erlebt die kleine Hermynia eine unruhige und eher lieblose Kindheit, als Lichtblicke ragen einzig die Aufenthalte in der Gmundner Villa ihrer Großmutter heraus. Um dem einengenden Einfluß der Eltern zu entkommen, heiratet sie 24jährig den baltischen Landjunker Victor von Zur Mühlen. Die Konflikte zwischen seiner politischen wie menschlichen Engstirnigkeit und Hermynias offner, idealistischer Haltung, ihrem stark ausgeprägten Gefühl für soziale Gerechtigkeit und menschliche Integrität erweisen sich als nicht lebbar. Beinahe wirkt ihre schwere Erkrankung an TBC wie eine neuerliche Flucht – von ihrem langjährigen Aufenthalt in Davos wird sie nicht mehr zurückkehren.

Von nun an auch ökonomisch auf sich allein gestellt, beginnt Sie als Übersetzerin, Publizistin und Schriftstellerin zu arbeiten. In Davos lernt Sie ihren zweiten Mann und Lebenspartner kennen, den ebenfalls aus Wien gebürtigen Übersetzer und Journalisten Stefan Isidor Klein. Mit ihm läßt sie sich 1919 in Frankfurt am Main nieder, wo sie gegen Krankheit, finanzielle Probleme und zunehmend auch politische Verfolgung ihre umfangreiche publizistische Tätigkeit fortsetzt. Über Jahre hinweg wird sie zur Stammübersetzerin der Romane Upton Sinclairs, die sie im deutschsprachigen Raum mit großer Energie bekannt macht. Gleichzeitig erscheinen im Malik Verlag erste, zum Teil äußerst populäre Märchensammlungen (die 1921 als Band 1 der Reihe Märchen der Armen erschienene Sammlung Was Peterchens Freunde erzählen erlebt eine Reihe von Auflagen und zahlreiche Übersetzungen), ab 1922 auch Romane und Novellenbände.

Ihre politische Parteinahme für die sozial Benachteiligten – viele ihrer Arbeiten aus diesen Jahren bezeichnet sie später als „Propagandaerzählungen“ -, ihre kompromißlose antifaschistische Haltung und ihre Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei tragen ihr in der Folge eine Reihe von Presseprozessen und Beschlagnahmungen ein. Viele ihrer Erzählungen und Romane erschienen zuerst in Zeitungen und Zeitschriften, die Autobiografie Ende und Anfang (S. Fischer) wurde 1929 sogar in der Frankfurter Zeitung vorabgedruckt. 1933 floh Hermynia Zur Mühlen mit ihrem Mann nach Wien, im März 1938 weiter nach Bratislava und 1939 nach Großbritannien. Trotz schwierigen ökonomischen Bedingungen und schlechtem Gesundheitszustand ist ihre Arbeitselan auch im Exil ungebrochen. Insgesamt übersetzte Hermynia Zur Mühen über 100 Bücher aus dem Russischen, Französischen, Englischen und Amerikanischen. Die beigegebene Bibliografie listet 20 Seiten Primärliteratur auf, ein Drittel davon in Buchform erschienen.

1951 verstarb Hermynia Zur Mühlen verarmt im englischen Exil, die von ihr angestrebte Rückkehr nach Österreich war ihr nicht mehr geglückt. Die Aufrichtigkeit und Ungebrochenheit, mit der sie Zeit ihres Lebens für ihre politische Überzeugung eingetreten war ebenso wie der strenge Begriff von Moralität, den sie an ihr eigenes Verhalten legte, reduzierte die Chance auf Rezeption ihrer Werke im Nachkriegseuropa des Kalten Krieges auf Null. Lang ist die Liste der Literaturlexika – auch zur Exilliteratur – die Hermynia Zur Mühlen nicht oder allenfalls als Randfigur zu nennen wissen, ungeachtet der realen Verbreitung ihrer Romane, Kinder- und Jugendbücher, Übersetzungen und Feuilletons in den 20er und 30er Jahren. Hermynia Zur Mühlen war bereits 1934 aus der Kommunistischen Partei ausgetreten, hatte diese Entscheidung aber kaum öffentlich gemacht, da sie nicht in den Verdacht geraten wollte, aus diesem Schritt publizistischen Nutzen zu ziehen – neben dem klaren sozialen Engagement ihrer Bücher sicherlich mit ein Grund, daß sie über Jahrzehnte hinweg literarhistorisch wie editorisch weitgehend in Vergessenheit geriet.

Martin Altners Biografie zeichnet den Lebensweg der Hermynia Zur Mühlen anhand von detektivisch zusammengetragenen Dokumenten, Briefen und Erinnerungen von Zeitzeugen nach. Er macht aus seiner Sympathie für die energiegeladene, couragierte, menschlich äußerst anziehende „rote Gräfin“ – in dieser Charakterisierung scheinen alle Zeitzeugen übereinzustimmen – kein Hehl, jedoch ohne seine persönliche Parteinahme den Tatsachen überzustülpen.

Manfred Altner Hermynia Zur Mühlen.
Eine Biographie.
Bern: Lang, 1997.
257 Seiten, broschiert.
ISBN 3-906756-07-6.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 02.12.1997

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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