Herzls Haltung zum Judentum wird gelegentlich in den Kontext eines quasi Weiningerianischen „jüdischen Selbsthasses“ gestellt. Jörg Thunecke opponiert dieser Auffassung, indem er aufzeigt, wie Herzl die „gesellschaftswidrigen Eigenschaften“, die die Lebensweise im Ghetto zwingend mit sich gebracht hat, pädagogisch-kritisch attackierte. Auch Ritchie Robertson zieht eine klare Linie zwischen einer funktionalen jüdischen Selbstkritik und dem Selbsthaß und unterscheidet vier Typen der jüdischen Selbstkritik: die mit Moses Mendelsohn assoziierte Kritik der Aufklärung, den sozialistischen Typus, der hier mit der doch eher ambivalenten Figur des Heinrich Heine assoziiert wird, den an der Assimilation orientierten Typus, für den Rathenau steht, und schließlich die post-assimilatorische Kritik, der der Zionismus zuzuzählen ist. Dennoch bleibt Otto Weininger insofern präsent, als – wie Matti Bunzl zeigt – der frühe Zionismus dessen „gendered discourse“ in gemildeter Form teilte. Angelika Montel ergänzt hier durch den Hinweis, daß es sich beim Zionismus zunächst um eine „Männer-Utopie“ handelte.
Die Neue Freie Presse ignorierte das zionistische Projekt ihrer Mitarbeiter Herzl und Nordau weitgehend und war dennoch umwegig an der Durchsetzung des Zionismus beteiligt. Diese Durchsetzung basierte auf einer recht paradoxen Allianz: auf den messianischen Hoffnungen, auf geschickter Diplomatie und einer meisterhaften Öffentlichkeitsarbeit. Edward Timms zeigt, wie geschickt Herzl seinen Status als „Gesandter der siebenten Großmacht“, also als Korrespondent bzw. Feuilletonchef des Weltblattes, benützte. Was die journalistischen Arbeiten Herzls betrifft gibt es – ein wichtiger Hinweis von Timms für Dissertanten – eine Publikations- und Forschungslücke. Durch die Redaktionsarbeit stellte sich auch der erste Kontakt zwischen Herzl und seinem späteren Kritiker, dem jungen Karl Kraus, her. Gerald Krieghofer rekonstruiert wieder einmal den Fall Kraus gegen Herzl und formuliert dabei die interessante These, daß das Vorwort zur ersten Fackel auch als Verarbeitung der Grundthese des Neuen Ghetto gelesen werden kann.
John C. G. Röhl, bekannt geworden durch seine biographischen Arbeiten über Wilhelm II., beschreibt die Vorgeschichte der Begegnung Herzls mit dem Kaiser in Palästina am 18.10 und am 2.11.1898. Der Antisemit Wilhelm war tatsächlich am Projekt eines deutschen Protektorats in Palästina interessiert und die vielgescholtene „Kamarilla“ rund um Wilhelms Männerfreund Eulenburg förderte das Interesse mit recht irrationalen Argumenten. Herzl argumentierte taktisch äußerst geschickt und versprach ein „deutsches“ Palästina und den geordneten Auszug der jüdischen Proletarier als Waffe gegen den Sozialismus. Der Sultan allerdings, der das Territorium hätte beisteuern sollen, brachte das Projekt mit einer kurzen Ablehnung zum Stillstand – Röhl fragt zurecht, wie die Geschichte unseres Jahrhunderts verlaufen wäre, wenn Herzl hier erfolgreicher gewesen wäre. Ein politisches Kalkül hatte auch Joseph Chamberlain, der Herzl „Uganda“ offerierte. In den endlosen Streit, ob Herzls zeitweilige öffentliche Option für dieses Projekt eines „Nachtasyls“ (so Max Nordau) als „Zionist“ oder „Territorialist“ gehandelt hat, interveniert Isaiah Friedman durch die Rekonstruktion von Herzls taktischem Kalkül.