Erwartungsgemäß sind da die Zugänge recht unterschiedlich. Zum Beispiel biografisch: Im ersten Kapitel erinnert sich etwa Qualtingers Schulkamerad Nikolaus Siebenaller an den Streber Qualtinger: „Er is‘ a unangenehme Kretz’n g’wes’n. Aber er woa g’scheit.“ (S. 27) Nach dem Krieg begann der junge Qualtinger sich in der Kabarettszene einen Namen zu machen, es entstehen bald berühmte Programme wie „Brettl vor dem Kopf“ (im Kleinen Theater im Konzerthaus) mit Gerhard Bronner, Flo Nordhoff, Carl Merz und Michael Kehlmann. Bemerkenswert, dass manche Kritiker schon damals, Anfang der 1950er Jahre, die schauspielerischen Fähigkeiten des Kabarettisten betont haben. Einzelne Programme werden im Fernsehen ausgestrahlt, was zu handfesten Skandalen führt. 1961, als 32jähriger, beschließt Qualtinger, dem Kabarett den Rücken zu kehren und startet seine zweite Karriere: als Schauspieler in Fernsehen und Film. Im gleichen Jahr spielt er jene Figur, mit der er Zeit seines Lebens identifiziert werden wird: den „Herrn Karl“, dem im vorliegenden Bild/Textband natürlich ein eigenes Kapital gewidmet ist. So erfährt man, wer die realen Vorbilder für diese Paradefigur perfider österreichischer Gemütlichkeit sind und welche literarischen Qualitäten den provokanten Text auszeichnen.
Apropos literarische Qualitäten: Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich mit dem oft wenig beachteten schriftstellerischen Schaffen Qualtingers, untersucht hat diesen Aspekt der Germanist Arnold Klaffenböck (dessen Dissertation zum gleichen Thema kürzlich in der Edition Praesens erschienen ist; Titel: „Die Zunge kann man nicht überschminken …„) Klaffenböcks Resümee: Gut war Qualtinger immer dann, wenn andere ihn zum Schreiben zwangen. „Qualtinger benötigte, wie es scheint, von Anfang an strikte Vorgaben, geistige Stützen, um nicht in der Flut von Möglichkeiten, Varianten und Entwürfen stecken zu bleiben“ (Klaffenböck, S. 233). Nach der Trennung von Carl Merz fand Qualtinger in der Kurzprosa „eine für ihn adäquate Gattung, die er bis zu seinem Tod“ bevorzugte (Katalog, S 110). Die oft geäußerte Meinung, bei seinem literarischen Schaffen von 1965 bis zu seinem Tod handle es sich um Makulatur, wurde von Qualtinger jedenfalls vehement bestritten.
Weiters im Buch zur Ausstellung nachzulesen: Erinnerungen von Alfred Hrdlicka bis Udo Proksch an „Quasi“ als Mensch, seine schwierige Beziehung zur Stadt Wien und schließlich sein künstlerisches Erbe.
Letzteres wieder in seiner Gesamtheit präsent zu machen, war sicher eine der Intentionen der Ausstellung, die voll aufgegangen sind. Das Buch zeigt wie die Ausstellung selbst einen spannenden Querschnitt durch alle Schaffensperioden und Genres des Multitalents. Auch textlich bietet es eine bunte Mischung: wissenschaftliche Beiträge, Interviews, Diskussionen, Texte Qualtingers. Nicht zu vergessen die äußerst feinen Fotos, wie etwa die berühmten Serien von Franz Hubmann oder Erich Reismanns Aufnahmen. Einzig und allein die Kapiteleinteilung des Bandes scheint ein wenig willkürlich zu sein. Warum steht etwa ein Beitrag über den TV- und Filmschauspieler Qualtinger im Kapitel „Quasi eine Sprechsteller. Literatur als Berufung und Beruf“?
Vielleicht wollte man dem TV/Filmschauspieler kein eigenes Kapitel widmen, wusste man doch, dass das Filmarchiv Austria zum Jubiläum nicht nur Qualtingers filmisches Schaffen zeigt (derzeit in den Breitenseer Lichtspielen), sondern auch einen Dokumentarband dazu auflegt. Und den sollten sich Qualtinger-Interessierte ebenfalls nicht entgehen lassen. Bereits während seiner Kabarettjahre sammelte Qualtinger Erfahrung beim Film, wurde freilich oft in komischen Rollen eingesetzt; breite Publikumswirksamkeit erlangte er erst mit seinen Fernsehauftritten – in den Pionierjahren des Mediums. „Zeitgenössisches Theater wird zum fixen Bestandteil des Fernsehspielplans“ (S. 84), Regisseur Erich Neuberg „verpackt brisante Themen in doppelbödige, mehrdeutige und satirische Formen des Volkstheaters, des Boulevards oder deklariert sie als Kabarett“ (ebd.). Helmut Qualtinger wird sein kongenialer Partner als Autor und Darsteller; „Quasi“, der „Antipathieträger als eine dramaturgische Rollenfunktion des Patschenkinos“.
Dann versucht sich der Schauspieler als Fernsehkommissar oder spielt in legendären Verfilmungen wie Josef Roths „Radetzkymarsch“ (Michael Kehlmann) und „Das falsche Gewicht“ (Bernhard Wicki). Es folgen unzählige Fernsehproduktionen bis zu seinem Tod („Alpensaga“, „Der Kulterer“ u.a.), nicht zu vergessen sein letzter Film „Der Name der Rose“. Der Filmarchiv-Band widmet sich den bekannten wie unbekannten Arbeiten für Film und Fernsehen (ein Highlight: Peter Zadeks Inszenierung von Tankred Dorsts Stück „Die Kurve“ mit Qualtinger und Klaus Kinski), versammelt rares Bildmaterial, Filmplakate, Szenen- und Probefotos, zeitgenössische Kritiken und etliche äußerst lesenswerte Beiträge (von Günter Krenn bis Alfred Dorfer reicht die Autorenliste). Alle drei hier vorgestellten Bände zeigen jedenfalls eines: dass der Künstler Qualtinger viel mehr war als der „Herr Karl“. Ob das die Wiener wahrhaben wollen?