#Sachbuch

Paul Celan

Heinz Ludwig Arnold (Hg.)

// Rezension von Daniela Strigl

25 Jahre nach der ersten „Text und Kritik“-Nummer über Paul Celan ist nun die dritte Auflage als komplette Neufassung erschienen. Vielleicht um einer gewissen dogmatischen Enge der nach wie vor kontroversiell betriebenen Celan-Exegese zu entkommen, hat Herausgeber Heinz Ludwig Arnold sein Hauptaugenmerk auf Celan als Übersetzer und als Übersetzten gelegt. In seinem Werk, so lautet die knappe Programmatik, gehe es nicht einfach um Sprache, sondern um „Sprachen“: „Dass ‚Sprachen‘ als Gegenstand von Untersuchungen andere Überlegungen und Beobachtungen möglich machen als ‚Sprache‘, ist der Ansatzpunkt dieses Hefts.

Folgerichtig kommen hier, von Michael Hamburger bis Yoko Tawada, auch Celans Übersetzer und Übersetzerinnen zu Wort, die mit der Schwierigkeit der Interpretation ihre ganz praktischen Erfahrungen gemacht haben. Die Autorenriege (in der Erstausgabe schrieben u.a. Beda Allemann, Bernhard Böschenstein und Alfred Kelletat) hat sich auf den ersten Blick verjüngt, dafür sind mit Franz Wurm und Michael Hamburger zwei Zeitzeugen dazugestoßen, die mit dem Dichter befreundet oder jedenfalls bekannt waren. Der einzige Autor, der in beiden Heften aufscheint, ist Theo Buck – er lieferte seinerzeit mit „Mehrdeutigkeit ohne Maske. Zum ästhetischen Modus der Dichtung Paul Celans“ die Eröffnung, nun steuert er eine minutiöse und von unverhohlener Bewunderung erfüllte Analyse der Celanschen Übersetzung von Rimbauds Schlüsselgedicht „Le Bateau ivre“ („Das trunkene Schiff“) bei.

Als großer Gewinn der Neuausgabe erweist sich die Mitwirkung von Schriftstellern, wobei Franz Wurm, Jahrgang 1926, Primäres, nämlich Gedichte präsentiert. „Paul Celan nachgerufen“ werden da Verse, die dem Widmungsträger einerseits verpflichtet sind, ja, ihm ihre Reverenz erweisen, andererseits – man möchte sagen: notgedrungen – hinter dessen ästhetischen Wegmarken zurückbleiben, hat der Czernowitzer doch bis in unsere Tage die Vorstellung von radikal moderner Dichtung geprägt. Hier sind Wurms Gedichte dennoch am Platz, nicht nur aus biographischen Gründen, sondern auch weil der Lyriker der Celan-Forschung die Leviten liest, etwa mit der Kürzeststrophe „Wer gräbt, wird nicht tiefer“.

Die Dichterkollegen ließen sich zum Glück vom Graben nicht abhalten. Thomas Kling, deutscher Propagandist der Wiener Avantgarde, befreit Celan aus der „geschlossen Abteilung Gedicht“, bekennt seine frühe, ängstliche Faszination durch den Gewaltigen und befaßt sich konkret mit dem Galgen-Motiv in Celans Dichtung, den Anspielungen auf Gaunerzinken, mit denen Vagabunden ihren nachfolgenden Genossen die Eigenschaften der heimgesuchten Hausbesitzer verschlüsselt anzuzeigen pflegten (und pflegen). Was zum Randgebiet der kakanischen Gesellschaft gehörte – siehe Theodor Kramers Gedichtband „Die Gaunerzinke“ (1927) – hatte für Celan einen bitteren persönlichen Beigeschmack: Als Gauner fühlte er sich in der von Iwan Golls Witwe Claire angezettelten Plagiatsaffäre verunglimpft, wer nicht ausdrücklich für ihn Partei ergriff, den reihte er unter seine Feinde ein.

Der Wahlengländer Michael Hamburger berichtet von seinen diesbezüglichen Erfahrungen, aber auch von seinem Ringen als Übersetzer um ein einziges Celansches Gedicht, ja um ein einziges Wort, etwa in „Coagula“: „Auch deine/Wunde, Rosa.//Und das Hörnerlicht deiner/rumänischen Büffel/an Sternes Statt überm/Sandbett, im/redenden, rot-/aschengewaltigen/Kolben.“ Auch nach der Identifizierung von Rosa Luxemburg scheiterte Hamburger lange am „Kolben“- Gewehrkolben, Maschinenstück, Glied? – ehe ihm, korrespondierend mit dem alchemistischen Titel, die Bedeutung von Reagenzglas, englisch „retort“, aufging. (Mir scheint das Bedeutungsfeld noch weiter: Das „Sandbett“ verweist nicht nur auf den Berliner Landwehrkanal, in den man Luxemburgs Leiche warf, sondern auch auf den „Sand aus den Urnen“ der KZ-Opfer, die Asche auf das Krematorium; und bei „Coagula“, „Wunde“, „rot“ klingt die Blutgerinnung mit.)

Daß man auch aus einem Gedicht, das keineswegs zu Celans besten zählt, Erkenntnis gewinnen kann, beweist Peter Waterhouse mit seiner auf Stummes und Kleinstes achtenden Deutung von „Wolfsbohne“. Die litaneihafte Anrufung der von den Nazis ermordeten Mutter entstand als Reaktion auf eine den Dichter kränkende Kritik der „Todesfuge“ – Ausdruck kaum verdichteter Empörung, hochmütige Rede eines tief Verletzten. Nicht zufällig sah Celan von einer Veröffentlichung ab. Indem die Mutter darin die Blume „Wolfsbohne“ nennt, und nicht (wie Ingeborg Bachmann in „Die gestundete Zeit“) „Lupine“, bekennt sie sich zur deutschen Sprache und nimmt zugleich das wölfische, das mörderische Deutschland vorweg.

Dasselbe Gedicht benutzt Marcel Beyer unter anderen, um in sprachlich-geographischen Interferenzen bei Celan das Politische dingfest zu machen. So verfolgt er nicht nur Celans private Entdeckungen der braunen Wurzeln im literarischen Nachkriegsbetrieb der BRD, so breitet er auch eine poetische Landkarte mit deutschen, russischen, tschechischen, französischen Flurnamen aus. Bei all den spannenden Details, die Beyer da ausgräbt und beleuchtet, verrennt er sich doch hie und da, etwa wenn er zu Celans „Königreich Bemen“ anmerkt, „es soll Menschen geben, die das Wort ‚Böhmen‘ ungefähr so aussprechen“. Nur einer, der noch nie etwas von ‚Böhmakeln‘ gehört hat, kann mutmaßen, Celans ureigenes Böhmen grenze sich gegen das derjenigen ab, „die es wie ‚Bemen‘ aussprechen mögen“ und in denen Beyer ausschließlich revanchistische Sudetendeutsche zu erblicken vermag.

Wenn man in diesem vielfältigen Kompendium überhaupt etwas vermißt, dann also vielleicht einen Beitrag über die von der deutschen Germanistik naturgemäß vernachlässigte altösterreichische Sprachfärbung des Celanschen Werks. Man könnte auch bedauern, daß neben den Untersuchungen zu den französischen, rumänischen, polnischen, italienischen, Querverbindungen, der hebräische und, von Beyers Paralipomena abgesehen, der russische Meridian kaum nachgezogen werden; Celans großartige Mandelstam- und Jessenin-Übersetzungen kommen etwas zu kurz.

Wichtiger aber ist, was Theresia Prammer, die jüngste Beiträgerin, meint und in „Begegnungen mit Worten. Celan italienisch“ vorexerziert, daß nämlich die „Standards“ der in Ehren ergrauten Celan-Forschung (Adorno, Szondi, Derrida!) heute auch als Barrieren wirken können, die es zu überwinden gelte: Celan „fällt nicht nur immer wieder hinter Celan zurück, er fällt seinen Interpreten bisweilen nachgerade in den Rücken“. Das Sich-Einlassen auf seine „kombinatorische Poetik“ (Prammer), auf Neuanfänge des Verstehens kennzeichnet diesen Band. Hier wird der Celanologie viel von ihrer Schwere, ihrem Pathos, ihrem sakralen Ton genommen, wird der spielerischen Lektüre (ja, auch Celan hatte Humor) zu ihrem Recht verholfen – unnachahmlich originell von Yoko Tawada, die buchstäblich das Gras wachsen hört und sieht, die die botanische Welt der „Niemandrose“ und das graphische Bild der Celanschen Wörter mit dem sinnstiftende Radikal „kusa-kanmuri“ (die Krone aus Gras) der japanischen Schrift konfrontiert und sich selbstironisch zur Lust der Interpretin am Zählen bekennt.

Heinz Ludwig Arnold (Hg.) Paul Celan
Text und Kritik. Heft 53/54.
3. Auflage: Neufassung.
München: edition text + kritik, 2002.
185 S.; brosch.
ISBN 3-88377-705-6.

Rezension vom 12.05.2003

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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