#Sachbuch

Michael Köhlmeier

Günther A. Höfler, Robert Vellusig (Hg.)

// Rezension von Ulrike Diethardt

Mit Dossier 17 legt das Franz Nabl Institut für Literaturforschung der Universität Graz einen weiteren Band zu einem österreichischen Autor in der gewohnten Qualität vor. Bei Michael Köhlmeier ist das kein ganz leichtes Unterfangen, handelt es sich bei diesem Autor doch um einen, der zwar Bestsellerlisten (Buch und CD-Editionen) und Hörspielhitlisten anführt, sich jedoch von der – und das nicht nur der akademischen – Literaturkritik Vorwürfen wie dem des Populismus ausgesetzt sieht.

Die Beiträger des Bandes nähern sich dem Phänomen Köhlmeier sensibel, messen sein Werk nicht an einer antinarrativen Moderne, sondern an Köhlmeiers häufig formuliertem poetischem Wollen, das letztlich immer im Postulat des Erzählens endet: „Etwas anderes als erzählen wollte ich nicht, etwas anderes glaubte ich nicht zu können.“ (Dankesrede anläßlich der Verleihung des Anton Wildgans-Preises 1997; hier: S. 125) Positionen einer Ilse Aichinger etwa, eines Gert Jonke oder Thomas Bernhard, für die das Erzählen fragwürdig geworden ist, finden in einzelnen Beiträgen zwar Erwähnung, gelten aber mit denen Köhlmeiers als unvereinbar.

Robert Vellusig fokussiert in seinem Beitrag über den „Erzähler“ auf die beiden Eckpunkte mündliches Erzählen und narratives Schreiben. Er stellt u. a. die CD-Versionen von Köhlmeiers Nach-Erzählung der Nibelungen-Sage der Buchfassung gegenüber und findet im narrativen Schreiben dann doch eine Steigerungsform des mündlichen Erzählens, obwohl bei Köhlmeier auch in den Buchfassungen eine große Nähe zur Mündlichkeit bestehen bleibt. Analysiert werden u. a. Dialogpassagen, das Handeln der Figuren und die Bedeutung des Unbewußten in Köhlmeiers Werk.

Günther A. Höfler nimmt Köhlmeiers anthropologische Erzählpoetik unter die Lupe und definiert sie – in Einklang mit kognitionstheoretischen Einsichten – als eine Poetik des „Rätsels Bewußtsein“ (S. 63) Immer gehe es bei Köhlmeier um eine genaue Auslotung menschlichen Handelns, um die radikale Frage: „Was geschieht bei einer Handlung?“(S. 69)

Homers „Odyssee“, per se Ursprung des modernen Erzählens, stellt Wendelin Schmidt-Dengler dem Roman „Telemach“ und ein wenig auch „Kalypso“ gegenüber und lotet Köhlmeiers Neu-Erzählen aus. Werden im „Telemach“ die zahlreichen Motive noch durch die von der Odyssee vorgegebene Struktur zusammengehalten, so verläßt Köhlmeier diese in „Kalypso“ zusehends („als würde Köhlmeier jedes homerische Motiv nutzen, um daraus für sein Verfahren erzählerisches Kapital zu schlagen“, S. 100), weshalb Schmidt-Dengler das Projekt – der abschließende dritte Band, „Penelope“ steht ja noch aus – doch etwas gefährdet sieht. (S. 100)

Sigurd Paul Scheichl, der seinen Beitrag dem „Neu-Erzähler“ Köhlmeier widmet, sieht die mündlich vorgetragenen und dann als CD-Editionen und Buchfassungen nachgereichten Sagen des klassischen Altertums, des Nibelungenlieds und der biblischen Geschichten als Teil einer Renaissance des Erzählens und als Vorläufer des Hörbuchs. Im Gegensatz zum Vorwurf, hier handle es sich um Bildungspopulismus, betont Scheichl das Defizit der Literaturwissenschaft, diese Arbeiten Köhlmeiers bisher nicht ausreichend gewürdigt zu haben. Mit großer Präzision wird in dem Artikel das Innovative im Vergleich zu bisher vorliegenden Bearbeitungen älteren Erzählguts herausgearbeitet: die Mündlichkeit, deren Duktus auch die gedruckten Fassungen bestimmt, die Einführung eines kritischen Erzählers, der die Geschichten aus der Sicht des 20./21. Jahrhunderts neu erzählt, kommentiert, v. a. psychologisch deutet, bewertet, sowie die Hereinnahme anderer Quellen.

Den zahlreichen Hörfunkarbeiten Köhlmeiers ist auch der Beitrag von Kurt Bartsch gewidmet, der sie den „Hörspielthesen“ von Köhlmeier / Klein gegenüberstellt. Hans H. Hiebel schließlich, der sich der Definition und Abgrenzung von Erzählen – Erdichten – Phantasieren – Fabulieren („Der Unfisch“, „Der Peverl Toni“) zuwendet, entdeckt Elemente von Postmodernität bei Köhlmeier.

Wie in dieser Reihe üblich, besteht der zweite Teil des Bandes aus einer Zusammenstellung von Kritiken und einer umfangreichen Bibliografie, der diesmal eine ebenso umfangreiche biografische Darstellung von der Schriftstellerkollegin Ulrike Längle vorangestellt ist. Bei den abgedruckten Kritiken wäre auch eine kontroversiellere Bandbreite möglich gewesen.

Günther A. Höfler, Robert Vellusig (Hg.) Michael Köhlmeier
Graz, Wien: Droschl, 2001 (Dossier. Die Buchreihe über österreichische Autoren. 17).
366 S.; brosch.
ISBN 3-85420-573-2.

Rezension vom 05.02.2002

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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