Andererseits ist der Autor auch um einen roten Faden bemüht, den er durch sein Büchlein flechtet und man sollte diese seine Arbeit nicht als Ordnungsversuch abtun, sondern als Dokumentation einer Auseinandersetzung lesen, die bei jeder „Annäherung an Musil“ beträchtlich variieren könne. Den Leser und Forscher Mehigan interessiert dabei vor allem ein philosophischer Weg zu Musil, dessen lebenslanger Kampf mit und gegen Rationalismus und Irrationalismus, die Suche nach einer Utopie eines „experimentellen Individualismus“. Diese Ziele, auf die Musil nach Mehigan ständig zuarbeitet, werden in Schritten quer durch Musils OEuvre ausgemacht, und Mehigan verfolgt diese Spuren mit einiger Akribie.
Weniger an Formversuchen, dafür umsomehr anhand von Protagonisten und deren Haltungen und Gefühlen versucht er Entwicklungen nachzuweisen, insofern sie sich an historischen und zeitgenössischen Geistesströmungen anlehnen, mit ihnen abrechnen oder sie zu überwinden suchen. Dabei versteht es Mehigan, mit einfachen Worten in die Philosophien von Gottfried Wilhelm Leibniz, Ernst Mach oder Nietzsche einzuführen. Zugleich vermag er zentrale Musilsche Begriffe zu erhellen, wie die „Konkav- und Konvexempfindung“, den „Möglichkeitssinn“ oder den „unzureichenden Grund“. Vor allem aber beeindruckt, wie er auf seinem „Weg zu Musil“ ganz nach Musilscher Manier immer wieder zwischen den widersprüchlichen Modellen und Erkenntnissen changiert.
Indem Mehigan aber sowohl die „Verwirrung“ stiftende Vielfalt der Forschungsansätze und die Komplexität der Schriften Musils zu lichten und stringent zu verknüpfen trachtet, muss er vereinfachen, ausblenden und bereinigen. Dabei stört weniger, dass gefällige Textstellen wiederholt aufgegriffen werden, sondern dass Entwicklungen unter Zuhilfenahme superlativistischer Formen mitunter beinahe ironisch anmuten. So schreibt er beispielsweise, dass „die komplexe Themenstruktur“ des großen Romans „auf die Unangemssenheit aufmerksam (mache), Musil ganz und gar Nietzsche zudiktieren zu wollen“. Allzu elegant erscheint auch der Bogen, den Mehigan um das Leben des Literaten macht, indem er es mit Erläuterungen der Worte Brochs – „Dichter ohne Biographie“ – kurz und bündig abhakt. Vor allem aber mangelt es an Bezügen zu ästhetischen Auseinandersetzungen, zu Ironie und Essayismus, Mehrdeutigkeiten und Offenheit, die in einem Buch „Robert Musil“ wohl etwas zu spärlich ausfallen.
Aber schließlich hat sich der publizierende Forscher konsequent um Klärung, Abschluss des Projekts und Leserschaft zu bemühen, was Mehigan durchwegs gelingt. Anders als bei der Lektüre Musilscher Texte, die ungewohnt viel Geduld und Mühe erfordern, so Mehigan im Vorwort, kann man sich auf das Lesen seines Reclam Büchleins problemlos einlassen – und wird es zudem nicht so schnell wieder weglegen wie etwa Musils Zögling sein Kantbuch.
„Törleß hatte sich nämlich am Morgen die Reclamausgabe jenes Bandes gekauft, den er bei seinem Professor gesehen hatte, und benützte die erste Pause, um mit dem Lesen zu beginnen. … Abends aber mochte er das Buch schon nicht mehr anrühren. Angst? Ekel? – er wußte nicht recht.“
Demgegenüber gibt die Reclamausgabe des australischen Professors Tim Mehigan mehr Antworten als Fragen aufgeworfen werden. Zudem provoziert es womöglich weniger starke Gefühle, aber Lust und Mut auf Musilsche Texte und Denkweisen allemal.