#Sachbuch

Literatur im Dritten Reich

Sebastian Graeb-Könneker (Hg.)

// Rezension von Deborah Vietor-Engländer

Das Ziel dieses Buches ist die Wiedergabe zeitgenössischer Quellentexte. Die Auswahl und Anordnung der Texte möchte Einblick geben in die spezifischen Verhältnisse der NS-Zeit, die für das Entstehen von Literatur, ihren Vertrieb und ihre Rezeption konstitutiv waren und gleichzeitig eine Auswahl literarischer und literaturtheoretischer Texte anbieten, die einen möglichst repräsentativen Querschnitt darstellen. (S. 9)

Der Anfang mit Auszügen aus Taschenkalendern und Tagebüchern bringt die unmittelbare Erfahrung nahe. Arnold Zweig schrieb am 4. Februar 1933 in seinen Taschenkalender: „Die Hitlerei in Deutschland setzt sich fest. Alle reaktionären Kräfte vereinen sich. Ich gehe dies Jahr nur gelegentlich heim.“ Und am 18. März: „3 Fragen: 1) Kann ich in Deutschland noch schreiben, wozu es mich treibt? 2) Kann ich in D. leben ohne denen in [den] Rücken zu fallen, die das nicht mehr können, moralisch genommen? 3) Kann ich mich in D. ernähren?“ (S. 11-12) – Zweig floh.

Der Pfarrerssohn Joachim Klepper hingegen akzeptierte zunächst (28. Mai 1933) den Nationalsozialismus: „Völlig positiv stehe ich dem Nationalsozialismus in zwei Punkten gegenüber: in der verwaltungsmäßigen Gleichschaltung der Länder des Dritten Reiches bei stärkerer kultureller Berücksichtigung alles ‚Bodenständigen und Landsmannschaftlichen‘. Unüberbrückbare Trennung: die Gleichschaltung von Kirche und Staat, Revolution und Reformation. Und der Antisemitismus. Eine antisemitische Reform kann es nicht geben. Eins schließt das andere aus.“ (S. 24) Klepper, mit einer Jüdin verheiratet, erfuhr den Antisemitismus am eigenen Leibe und schildert ihn eindringlich. 1941 wurde er aus der Wehrmacht als „wehrunwürdig“ entlassen. Als die Ausreise der jüngeren Stieftochter verweigert wurde, beschloß die Familie gemeinsam zu sterben. Am 10. Dezember 1942 hieß es: „Wir gehen heute nacht gemeinsam in den Tod.“ (I) Und so geschah es.

Texte aus dem NS-Literaturapparat werden hier schlüssig aneinandergereiht. Die Machtposition und die Schlüsselrolle, die Hellmuth Langenbucher in der nationalsozialistischen Literaturpolitik spielte, werden deutlich. Hauptlektor für das schöngeistige Schrifttum, Schriftleiter der Zeitschrift Buchhändler im neuen Reich und des Börsenblattes für den deutschen Buchhandel, der „Literaturpapst“ seiner Zeit. (Nach 1945 Beteiligung an Klassikerausgaben von Hauff und Storm und Herausgeber eines Lyrik-Handbuchs für Lehrer in der Bundesrepublik.) Er war es, der in Deutsches Volkstum 1934 Hans Falladas Wir hatten mal ein Kind so entscheidend verurteilte. Fallada wird hier leider nicht erwähnt, obwohl er einen der interessantesten Fälle von Brüchen und Kontinuität Weimar-Drittes Reich-DDR darstellt. (II) Er hatte in der Weimarer Republik sozialkritische Bestseller veröffentlicht, war aber nach Langenbuchers Verriß bereit, sich mit dem Regime zu arrangieren, schrieb nur noch Unterhaltungsromane, die ihm viel Geld einbrachten. 1939 nahm er mit viel Freude eine Aufforderung der „HJ-Gebietsführung 20“ an, an einer Heftenreihe der Hitlerjugend mitzuarbeiten. Er schrieb zurück,daß er „sich außerordentlich freue, eine Erzählung für die H.J. zu schreiben“.(III) 1942 schlug er der Schriftleitung im Oberkommando der Wehrmacht vor, seinen Hoppelpoppel und andere Arbeiten in den Soldatenblättern für Feier und Freizeit zu veröffentlichen. (IV) 1943 reiste er im Auftrag des Reichsarbeitsdienstes nach Frankreich und in den Sudetengau. Nach 1945 wurde er in Ost-Berlin von Johannes R. Becher unterstützt. Jan Petersen (S. 183,353), Friedrich Wolf (S. 362) und Arnold Zweig (S. 363) kehrten ebenfalls in die DDR zurück.

Exil bei Arnold Zweig, sich arrangieren bei Fallada, bei Elisabeth Langgässer, die oft zur „inneren Emigration“ gezählt wird, scheint mir dieser Band stark geschönt zu haben (übrigens heißt ihre Tochter Cordelia, nicht Cordula). Sie ließ es zu, daß ihre Tochter nach Theresienstadt und Auschwitz deportiert wurde. (V) Cordelia (heute Edvardson) überlebte. 1948 bat Elisabeth Langgässer ihre Tochter, ihr Einzelheiten aus dem Lagerleben in Auschwitz mitzuteilen, um sie für die Atmosphäre in einem Roman zu verwerten. Sie vermarktete auch die Erfahrungen ihrer Tochter in der Frankfurter Rundschau (6. Juli 1948). (VI) Bei den im Dritten Reich publizierenden Dramatikern fehlt jeglicher Hinweis auf Hans Rehberg (zahlreiche Stücke, besonders das Hörspiel Suez, Faschoda, Kapstadt wurde 1940 während des Frankreich-Feldzugs in französischer Sprache gesendet, um die englandfeindliche Haltung zu bestärken) oder Hans Hömberg (besonders Kirschen für Rom).

Diese minimalen Einwendungen sollen keineswegs den Wert des Bandes schmälern. Wo Rechtsinhaber keine Abdruckgenehmigung erteilt haben, wurde zusätzliches Bildmaterial aufgenommen. Die Bücherverbrennung und die Buchverbotspraxis werden anhand von Dokumenten besonders anschaulich dargestellt. (S.  34-36) Das Buch ist dank seiner Übersichtlichkeit auch besonders für die Schule geeignet und mit DM 20.- sehr preiswert.

I. Jochen Klepper: Unter dem Schatten Deiner Flügel. Aus den Tagebüchern der Jahre 1932-1942. München 1956, S. 1133.
II. Hans Sarkowicz/Alf Mentzer: Literatur in Nazi-Deutschland. Ein biografisches Lexikon. Hamburg/Wien 2002, S. 153-57.
III. Gunnar Müller-Waldeck et al.: Hans Fallada. Sein Leben in Bildern und Briefen. Berlin 1997, S. 169.
IV. Hans Fallada, siehe Anm. III, S. 196.
V. Ursula El-Akramy: Wotans Rabe. Elisabeth Langgässer, ihre Tochter Cordelia und die Feuer von Auschwitz. Frankfurt 1997, S. 76-77.
VI. Ursula El-Akramy, S. 95-98 und Sarkowicz/Mentzer, S. 261.

Sebastian Graeb-Könneker (Hg.) Literatur im Dritten Reich
Dokumente und Texte.
Stuttgart: Reclam, 2001 (Universal-Bibliothek. 18148).
416 S.; brosch.
ISBN 3-15-018148-8.

Rezension vom 05.12.2001

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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