#Sachbuch

"Liebesbriefe, und was nun einmal so genannt wird"

Bettina Marxer

// Rezension von Evelyne Polt-Heinzl

Der Höhepunkt des empfindsamen Briefwechsels, der auch Sprechweise und Konventionen für den brieflichen Liebesdialog ausdifferenzierte, lag im 18. Jahrhundert. Um 1900 lassen die neuen Konkurrenzmedien Telefon und Telegraf den Briefwechsel schon beinahe antiquiert erscheinen. Dennoch sind Arthur Schnitzler und sein Freundeskreis zu den manischen Briefschreibern zu rechnen. Im Nachlaß Schnitzlers sind – auch dank Schnitzlers Eigeninteresse an der archivarischen Dokumentaion seiner Person und seines Lebens – weit über zehntausend Briefe erhalten. Ein nicht geringer Teil davon steht im Zusammenhang mit der Anbahnung und Pflege seiner zahlreichen Frauenbeziehungen.

Aufgrund seines privat-intimen Charakters wurde dem Brief, namentlich dem Liebesbrief, in der Literaturwissenschaft bisher wenig literarhistorische Relevanz zugesprochen. Vielmehr konzentrierte sich die Wahrnehmung auf die Auswertung als dokumentarisches Quellenmaterial zu Leben und Werk des Autors. Bettina Marxer analysiert zwei unterschiedliche Briefwechsel Arthur Schnitzlers als Liebesdialoge, die jeweils durch beide Partner in Gang gehalten werden. Damit rückt diese Untersuchung erstmals die weiblichen Briefschreiber als Akteurinnen und Mitgestalterinnen des Liebesverhältnisses in den Mittelpunkt und korrigiert so auch bisher übliche biographische Deutungen, die sich primär auf seine Darstellung der Beziehungen konzentrieren.

Marxer wählt dazu zwei sehr umfangreiche und sehr unterschiedliche Briefkonvolute aus. Das eine ist der Briefwechsel mit Olga Waissnix, der Wirtin des Thalhofs in Reichenau. Die Beziehung begann 1886 bei einer zufälligen Begegnung in Meran und hatte ihre – auch brieflich – intensivste Phase bis 1889. Bis zu Olgas Tod 1897 riß der Briefkontakt nie ganz ab und umfaßt insgesamt 308 erhaltene Briefe, 194 von Olga und 114 von Schnitzler, die alle publiziert vorliegen. Der zweite Briefwechsel betrifft Marie Reinhard, die Schnitzler im Sommer 1894 kennenlernt. Der im Schnitzler-Archiv der Universität Freiburg im Breisgau erhaltene Briefwechsel umfaßt 455 Briefe, Karten und Telegramme aus den Jahren 1895 bis zu Marie Reinhards plötzlichen Tod im Jahr 1899.

Die Auswahl dieser beiden Briefwechsel ist gut gewählt. Zwar nicht deshalb, weil die beiden zeitlich sehr nahen Briefwechsel eine „Übergangskonstellation“ (S. 4) markieren, wie die Autorin vermutet, aber doch deshalb, weil die Beziehungen zu Olga Waissnix wie Marie Reinhard durch ihre Unerfülltheit einerseits, durch das jähe Ende andererseits, im Leben Arthur Schnitzlers eine herausragende Stellung einnehmen. Die diametral entgegengesetzten Sprechweisen der beiden verschriftlichten Liebesdialoge und ihre völlig unterschiedlichen Kompositionschemata sind keineswegs einer Schwellensituation in der Konvention des Liebesbriefes zuzurechnen, sondern einfach den völlig unterschiedlichen Beziehungsgeschichten, die Bettina Marxer in der Analyse der beiden Briefwechsel auch detailliert herausarbeitet.

Der Briefwechsel mit der verheirateten Olga Waissnix stand von Anbeginn unter der Konstellation der Entsagung. Gemeinsame Treffen waren selten unbeobachtet und daher ohne die Möglichkeit zu intimem Austausch. Die von der Last der Geheimhaltung geprägten Briefe – daher keine von Schnitzler sonst gerne verwendeten offenen Korresponenzkarten und Telegramme – fungieren von Anfang an als eine Art Ersatzterrain, auf dem sich imaginär eine uneinlösbare Sehnsucht artikuliert. Die Abwesenheit des geliebten Gegenüber ist hier Grundgegebenheit. Mit beschwörendem Ton versichern sich die Liebenden der Sehnsucht und gestalten die wenigen gemeinsamen Erinnerungen zu mythischen Erlebnissen aus. Vor allem das Treffen in Meran wird als Gründungsmythos der – nicht gelebten – Beziehung immer wieder in Erinnerung gerufen.

Ganz anders die Ausgangssituation bei Marie Reinhard. Hier ist das Setting eine reale, glückliche Beziehung. Die interimistischen Absenzen sind der Reisetätigkeit oder Kuraufenthalten geschuldet. Das verleiht der Abwesenheit eine andere, alltägliche Qualität. Es gilt die Zeit zu überbrücken, mit Versicherungen der gegenseitig aufrechten Liebe zu füllen und das Wiedersehen imaginär vorwegzunehmen. Der Grundton ist kein tragischer, sondern ein durchaus lustvoll sehnsüchtiger. Das macht diesen Briefwechsel für Ausdeutungen des Liebesdialogs auch weniger ergiebig als den mit Olga Waissnix. Zu erwähnen bleibt noch eine besondere Absenz: Dort, wo sich der männliche Freundeskreis in Briefen wortreich über das Alltagsleben austauscht, kommen beide (Brief)Partnerinnen zumindest namentlich nie vor.

Bettina Marxer „Liebesbriefe, und was nun einmal so genannt wird“
Korrespondenzen zwischen Arthur Schnitzler, Olga Waissnix und Marie Reinhard: Eine literatur- und kulturwissenschaftliche Lektüre.
Würzburg: Königshausen & Neumann, 2001 (Epistemata. Würzburger wissenschaftliche Schriften. Reihe Literaturwissenschaft. 362).
232 S.; brosch.
ISBN 3-8260-2078-2.

Rezension vom 19.11.2001

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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