#Sachbuch

Kunst und Kultur in Theresienstadt

Rudolf M. Wlaschek (Hg.)

// Rezension von Deborah Vietor-Engländer

„Unvergesslich wird mir diese Aufführung sein. Solch erstklassige Künstler, solch musikalischer Genuß, da vergisst man Hunger, Kummer und alle Theresienstädter Sorgen für 2 Stunden.“ (I)

„Zum Cabaret Karussell unter Kurt Gerron (Abb. 41, S.58) bekam ich eine Karte. Es war ein hoher Genuß. Lauter erste Künstler und der Komponist und Pianist Roman am Flügel… Man muß immer wieder staunen, was einem an Geist und höchster Kunst geboten.“ (II)

„Ein so grotesker Gegensatz zwischen geistig überragenden Leistungen auf der einen Seite und Hunger, Schmutz und Ungeziefer auf der anderen Seite. Ich hörte die Schöpfung von Haydn, so vollendet der Chor, Begleitung am Flügel und Solisten, wie man sie in besten Zeiten in der Großstadt nicht besser finden konnte. Alles verbannte Künstler, mit Hunger, alle Tage schwer arbeitend, mit einer Begeisterung bei der Sache, die erschütternd war. Sollte ich je wieder in normale Verhältnisse kommen, diese Theresienstädter Erlebnisse werde ich nie vergessen.“ (III)
So schrieb Martha Glass in ihren Theresienstädter Tagebüchern 1943 und 1944 über eine Oper, ein Kabarett und eine Haydn-Aufführung im Lager. (Abb. 6, S. 23 und Abb. 33, S.50)

Elsa Bernstein (besser bekannt unter ihrem Pseudonym als Dramatiker Ernst Rosmer), kam 76jährig und erblindet dank der Protektion von Winifred Wagner ins „Prominentenhaus“ Theresienstadt, was sie vor dem Transport in den Osten bewahrte. Sie wurde in eine Aufführung der Verkauften Braut mitgenommen: „Am Flügel ein überlegener und temperamentvoller Kapellmeister, der sowohl zu zügeln als anzufeuern versteht. Sänger, denen gerade diese Musik auf den Leib oder besser auf die Kehle geschrieben ist. Prachtvolle Stimmen, ausdrucksfähig für Laune wie Leiden in czechischer Sprache. Und die Musik, weder veraltet noch neuerungssüchtig, die sich am künstlerisch vorzüglichsten in der Ouvertüre ausspricht, erquickt das Ohr und belebt die abgebrauchten Nerven.“ (IV)

Die 16jährige Jana Renée Friesova sang im Chor für die Verkaufte Braut und erlebte dabei ihre wenigen glücklichen Momente in Theresienstadt, sie empfand den Chor und die Veranstaltungen als große Bereicherung ihres dortigen Lebens. (V)
Die Lyrikerin Gerty Spies war dankbar für die Konzerte: „…sangen mit schönen geschulten Stimmen – und hungrigen Mägen – und entführten uns für eine Stunde in die Welt des Vergessens.“ (VI)

Um die Abbildungen zu den Aufführungen und anderen kulturellen Veranstaltungen (hauptsächlich den deutsch-jüdischen Angeboten) geht es in diesem Band, der 60 aus der insgesamt 500 Arbeiten umfassenden Hermann-Sammlung darbietet, mit einem Vorwort auf deutsch und englisch und einem Kommentar. Es ist oft gefragt worden, ob es berechtigt war, mit den kulturellen Veranstaltungen das Bild des Vorzeigelagers zu stärken und den Deutschen damit in die Hände zu spielen. Dieser Band, das Echo bei den zitierten Frauen ist Antwort genug. Wir sehen an den sorgfältig vorbereiteten Ankündigungen, wie sehr sich die Künstler und Vortragenden bemühten, ihrem Publikum aus den psychischen Tiefen zu helfen und die Frauen an ein Leben nach dem Lager glauben zu lassen – oder sie auch nur für kurze Zeit den Hunger vergessen zu lassen. (VII)

Dieser Band ist ein einziges Gedenken an diese unzähligen Künstler, die versucht haben, mit ihrer Kunst andere am Leben zu erhalten und von denen die meisten selbst Opfer der Vernichtungslager wurden.

  • I)Martha Glass: „Jeder Tag in Theresin ist ein Geschenk“. Die Theresienstädter Tagebücher einer Hamburger Jüdin 1943-1945, hrsg. von Barbara Müller-Wesemann. Hamburg 1996, S.76.
  • II) siehe Anm. 1, S.107.
  • III) siehe Anm. 1, S.102.
  • IV) Elsa Bernstein: Das Leben als Drama. Erinnerungen an Theresienstadt. Dortmund 1999, S. 71.
  • V) Jana Renée Friesova: Fortress of my Youth. Hobart 1996, S.150.
  • VI) Gerty Spies: Drei Jahre Theresienstadt. München 1984, S.52.
  • VII) siehe hierzu auch Elena Makarova et al.: University over the Abyss. The Story behind 489 Lecturers and 2309 Lectures in KZ Theresienstadt 1942-1944. Jerusalem 2000.

Rudolf Wlaschek (Hg.) Kunst und Kultur in Theresienstadt
Eine Dokumentation in Bildern.
Gerlingen: Bleicher Verlag, 2001.
88 S.; geb.; m. 60 Farbtafeln.
ISBN 3-88350-052-6.

Rezension vom 10.09.2001

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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