Roths literarischer Umgang mit dem Judenhass, seine Fremd- und Selbstwahrnehmung als ostjüdischer Autor wurden bislang nicht eingehend einer kritischen Betrachtung unterzogen. Die Autorin geht davon aus, dass Joseph Roth mit der Form der literarischen Auseinandersetzung weitaus mehr Wirkungspotential ausschöpfe, als dies publizistische und wissenschaftliche Texte vermögen.
Nach einem einleitend resümierenden Teil über die antisemitische Kulturpolitik im deutschsprachigen Raum mit ihrem unerschöpflichen Register an Feindbildern, Stereotypen und Vorurteilen belegt die Autorin anhand Roths 1923 publiziertem Roman Das Spinnennetz, wie das Thema des Antisemitismus mit dem Streben nach Karriere verwoben ist. Am Anfang seiner beruflichen Laufbahn wog Roth Für und Wider der Assimilation und Dissimilation ab. Er führte sich laut Ochse im Spinnennetz selbst „ein Schreckbild seiner eigenen möglichen Entwicklung vor Augen“. Indem er „die zwanghafte Weltsicht des Antisemitismus zuende“ dachte, drückte er seine Resignation darüber aus, ihm auf der Ebene der Politik zu begegnen.
Die Autorin wertet den vielfach zu Unrecht als Erstlingswerk etikettierten Roman, der durch den politischen Weitblick und die Gesellschaftskritik Roths besticht, argumentativ überzeugend auf: „Wie bei Egon Erwin Kisch wurde Fiktionales mit Faktischem verbunden und ästhetisch geschickt verknüpft; durch die Verwischung der Grenzen zwischen Juden und Nicht-Juden deckte Roth den Gegensatz zwischen Deutschen und Juden als Konstruktion auf.“ Der lange in Deutschland publizierende Schriftsteller reagierte als „Ostjude“ besonders empfindlich auf die Ressentiments assimilierter Juden.
Katharina Ochse weist anhand der Reportage Juden auf Wanderschaft (1925-27) nach, dass Roth für sich nunmehr Assimilation entschieden ablehnte. Durch die Zuschreibung von Eigenschaften, die sich mit dem Selbstbild von Nichtjuden decken, versuchte Roth in der Reportage die Sympathien für Ostjuden zu wecken. Mit dem oftmaligen Motiv der Wanderschaft, dem Aufbruch aus der Heimat, der Rückkehr signalisiert Roth allerdings – wie in seinem ersten Exilroman Tarabas (1934) – nicht Wurzellosigkeit bzw. Entwurzelung, sondern besetzt Migration positiv. Den Osten stilisierte Roth zum Tor der Nachmoderne hoch. Frankreich allerdings wurde nicht nur Roths Exil, sondern symbolisierte auch in seinem Werk den Ort der Freiheit – obwohl Antisemitismus dort ebenfalls beheimatet war.
Regressiv bleibt für die Autorin am Roman Tarabas, der durch die starke Verwendung biblischer Motive den Antisemitismus als Antichristianismus deutet und im Gegensatz zum Spinnennetz einen religionsgeschichtlichen Erklärungsansatz bietet, die implizierte Sehnsucht nach der Rückkehr in eine vormoderne Welt. An den Ostjuden schätzte Roth die Ablehnung des Nationalismus.
Dass er nicht nur aufgrund seiner Herkunft aus einem übernationalen Staat an der Überstaatlichkeit festhielt, sondern auch aufgrund seiner Überzeugung, dass Nationalstaaten und deren Institutionalisierung homogener Konzepte den Antisemitismus fördern, spricht Katharina Ochse in einer Passage kurz an. Roths Verteidigung dieses plurinationalen Konzeptes hängt freilich auch mit der Identität der Juden als „nicht-nationale Nation“ zusammen. In seinen Werken insistierte Roth stets auf einer mehrdimensionalen Identität, die jeweils neu zu bestimmen ist. Katharina Ochse legt überzeugend dar, wie sich die Auseinandersetzung Joseph Roths mit dem Antisemitismus in seinen literarischen Texten im Laufe von 15 Jahren vollzog; dabei berücksichtigt sie deren Einbettung in den sich verändernden politisch-historischen Kontext ebenso wie Roths Sozialisation und den zeitbezogenen Identitätswandel des Schriftstellers, der mit seinem Bekenntnis zum Monarchismus als einer rückwärtsgewandten Utopie eine Überlebensstrategie schuf.
Ochse verbindet textimmanente Analysen – wie (biblische) Motive, Metaphern und Symbolik gerade bei Tarabas – mit der Analyse der politisch-historischen Funktion seiner Texte. Als Vergleichsparameter für die Verarbeitung des Antisemitismus in literarischer Fiktion zieht die Autorin gelegentlich die Werke von Autoren wie Lion Feuchtwanger, Hugo Bettauer und Heinrich Mann (Der Untertan) heran, für Roths Interpretation des Antisemitismus den psychoanalytischen Deutungsansatz von Sigmund Freud. Katharina Ochse leistet mit ihrer Dissertation einen wichtigen Beitrag zur Roth-Forschung. Gerade weil das Buch so gut ist, wäre ihm eine bessere Betreuung (hinsichtlich Layout und Satz) von Seiten des Verlages angemessen gewesen.